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106 Psychische Studien. XIX. Jahrg. 8. Heft. (März 1892.)
mit dem Christenthum zu brechen; die unlogischen Unmöglichkeiten
dieses Glaubens zwangen mich aber dazu,
und ich habe sie nie klarer und deutlicher erkannt als
heute. Ich wurde Materialistin, aber wohlverstanden, nicht
Anhängerin jenes krassen Materialismus, der nur für sich
selbst sorgen lehrt, der nur nach gewöhnlichem Gewinn
trachtet, der sich nur um den Augenblick und nicht um
die Menschheit und ihre Zukunft kümmert. Das ist der
Materialismus der Verkommenen, der alles Edle im Menschen
erstickt und den Ruhm der Menschheit vernichtet. Mit ihm
habe ich und die, mit denen ich zusammen arbeitete, nichts
zu schaffen. Unser Materialismus lehrt uns, der Menschheit
zu leben und in ihr und für sie aufzugehen; er stellt die
höchsten Anforderungen an die Menschen; er heisst uns das
Gute seiner selbst wegen zu thun und das Böse zu hassen,
weil es böse ist; er besticht uns mit keinen Versprechungen
auf Belohnung; er schreckt uns mit keinen Strafen; er
macht es uns zur Pflicht, für die Gesammtheit zu wirken
und dem Fortschritt der Menschheit unser eigenes Interesse
unterzuordnen. Gegen diesen Materialismus, zu dem ich
mich selbst bekannte, werde ich nie ein Wort der Rüge
aussprechen. Ich weiss, es ist eine Philosophie, die nur
Wenige ins Leben überführen können. Allein das Weltall
birgt Probleme, welche der wissenschaftliche Materialismus
nicht lösen kann, und denen gegenüber er sich damit aushilft
, dass er sie einfach für unlösbar erklärt. Damit werden
aber die Probleme nicht aus der Welt geschafft; sie verharren
, sie glotzen uns an, wie eine Sphinx; sie lassen uns
zu keiner Ruhe kommen. Sollen wir uns damit zufrieden
geben, dass sie unlösbar sind? Ich konnte es nicht. Ich
suchte, ich musste suchen, und was ich suchte, habe ich
gefunden. Ich habe es einer Frau zu danken, die leider
von hier geschieden ist, — Madame Blavatsky. Ich weiss, in
dieser Halle werden nur Wenige, vielleicht Niemand so über
diese merkwürdige Frau denken, wie ich. Ich kenne sie aber,
und Sie kennen sie nicht, und darin mag der Unterschied
in unserer Erkenntniss liegen. Die Welt spricht von
Schwindel und Betrug; sie spricht von Beweisen. Ich habe
diese Beweise geprüft und weiss, sie sind falsch. In dieser
Halle haben Sie mich sechzehn lange Jahre gekannt.
Haben Sie je gefunden, dass ich mich auch nur der
geringsten Unwahrheit schuldig gemacht? (Nein, nein,
niemals! und brausender Beifall.) Meine schlimmsten
Feinde haben niemals meine Wahrhaftigkeit in Zweifel
gezogen. (Richtig! Niemals! und lauter Beifall.) Und so
erkläre ich nun an dieser Stelle, dass ich, seitdem sie
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