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Handrich: Giebt es einen ewigen Osten?
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beseelter, schwerwiegender Gegenstände, dem ßerührtwerden
von Händen, deren Besitzer unsichtbar sind, und den anscheinend
aus Nichts sich entwickelnden, Form gewinnenden
und sich uns in voller Gestalt zeigenden materialisirten
Geistwesen begegnen wir in der Bibel.
Erst vor einigen Wochen war es mir vergönnt, in
Gesellschaft von intimen Freunden und in Gegenwart einer
medianimisch begabten Dame die Materialisation von fünf
verschiedenen Gestalten zu beobachten: wie aus scheinbarem,
sich vor unseren Augen bildendem Nebel menschliche
Oonturen hervortraten, wie sich die weissen faltenreichen
Gewänder bildeten, bis dann auf einmal, ohne scheinbaren
Uebergang, das ganze, lichte Wesen in unverkennbarer
Aehnlichkeit mit unseren vor kürzerer oder längerer Frist
dahingeschiedenen Lieben vor uns stand.
Ich spreche nicht von optischen Delusionen, von Leger-
demaintricks, von Hallucinationen, von Visionen auf Grund
hyper-sensitiver Nerven- oder Sinnenerregung u. s. w.,
sondern von echten Materialisationsphänomenen, die dem
Medium keinen pekunären Gewinn einbrachten.
Die Religionsgebräuche und die Vorstellungen des
Jenseits der Natur- und Kulturvölker, deren Traditionen
und Dogmas gewinnen auf Grund dieser Vorkommnisse
erneuertes Interesse und richtigeres Verständniss.
„Dem ewigen Osten4* steht der „Westen", der Vorbereitungsort
zur Reise nach dem Lichte, gegenüber. Sowie
bei den Egyptern der Verstorbene zuerst den Westen, oder
den finstern Ort, „Ainenthes" genannt, betreten musste, um
von da aus entweder in das „Land der Seligen" zu gelangen,
oder nach einer Reihe von Wandlungen durch Thierleiber
wieder als Mensch reincarnirt zu werden. Bei den Parsen
und Hebräern gingen die Guten in das Paradies, das
Eden ein, die Bösen dagegen wurden nach der „Sheol"
oder „Gehenna" verbannt Bei den Hellenen hiess der Ort
der Seligen „Elysion", der der Verdammten „Tartaros." —
Zu der „Walhall" pilgerten die auf dem Felde gefallenen
Krieger der Germanen, die Feigen dagegen fuhren zur
Unterwelt „Hei" genannt, aus dem sich „Frau Holle" und die
moderne Bezeichnung „Hölle" bildete.
Die mit dem Aufenthaltsort abgeschiedener Seelen
verknüpften Zustände entstammten nicht ausschliesslich der
Einbildung, sondern dem Verkehr zwischen der „sichtbaren"
und unsichtbaren, d. h. zwischen der irdischen und der
Geisterwelt. Die Verschiedenheit der Anschauungen hat
wahrscheinlich ihren Grund in der verschiedenartigen Auffassung
und der individuellen! der objectiven Ansicht der
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