http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1892/0128
120 Psychische Studien. XIX. Jahrg. 3. Heft. (März 1892.)
sich offenbarenden Wesen, „der Boten aus dem Jenseits"
sowohl, wie der Empfänger der Botschaften selbst. Der
Fortbestand der Religionen aber und des Glaubens an ein
Jenseits beruht und wird bedingt in und durch Fortbestehen
des angedeuteten Verkehrs sowohl, als der denselben vermittelnden
medianimen Begabungen, deren Inhaber von den
Völkern früherer Zeitabschnitte als Priester, Druiden,
Magier, Propheten, Seher und Wunderheilige verehrt wurden.
Nicht nur die Eeligionsgebräuche, auch die Traditionen,
die Mythen und Sagen gewinnen, von diesem Standpunkt
der Ueberzeugung psycho-physischer Manifestationen aus
betrachtet, erneuertes Interesse und richtigeres Verständniss.
Ich betrachte die von mir angefeindete Sage des Wieder-
auffindens des mit Hiram Abiff verloren gegangenen Meisterworts
nunmehr in einem anderen Lichte.
Wenigstens gewinnt der Vorgang mehr an Wahrscheinlichkeit
, weil meine Auslegung ihn der Möglichkeit näher
bringt. Beiläufig möchte ich darauf hinweisen, dass
betrügerische Manipulationen ebensowohl im grauen Alter-
thum, wie auch heutigen Tages unter Anwendung von
Verbündeten, Paraffinmasken, mechanischen Vorrichtungen,
Paraphernalien und anderen Requisiten ausgeübt wurden;
dass aber auch gleichzeitig und zu jeder Zeit Falschgeld
die Existenz von echtem voraussetzen lässt.
Die Herrscher und Würdenträger, die Gelehrten, die
Architekten und Baumeister der orientalischen Reiche
recrutirten sich aus der Priesterkaste, die mit den geheimen,
auf Medianimität beruhenden Kräften vertraut, und wenn
auch keine Todten zu erwecken, immerhin im Stande waren,
unter gewissen Bedingungen die Phantome der aus dem
Leben Geschiedenen den Sinnen zugänglich zu machen.
Mit anderen Worten, sie waren selbst Medien oder Magier,
und mit allen Phasen der dunkeln, d. h. bis auf den heutigen
Tag unaufgeklärten medianimen Kräfte und deren Resultaten,
d. h. den dadurch zu erzielenden Phänomenen, mithin auch
mit demjenigen der Materialisation bekannt.
Es handelte sich nun speciell, hinsichtlich des auf
Hiram-Äbiff ausgeübten Erpressungsversuches, um vorzeitige
Erlangung des Schlüssels zu den Tempelmysterien, d. h. der
im Dunkeln des Allerheiligsten stattfindenden Vorgänge und
Offenbarungen.
Im ferneren Verlaufe der Sage ist ersichtlich, dass es
den ungenügenden medianimen Kräften der Adepten und
Neophiten, denen es nicht gelang, dem materialisirten
Phantom des Grossmeisters Vocalkraft zu verleihen, zuzuschreiben
war, dass der König selbst mit den Hierophanten
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1892/0128