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M. v. L.; Eine Vampyr-Erscheinung in Russland. 149
gar kein Geld, ich kann den Armen also nichts geben."
Da gab ich ihr 80 Kopeken, 50 für eine Todteninesse und
30 für die Armen. Die Frau befolgte in fester Ueber-
zeugung alles, was ich gerathen hatte, und ihr Mann
kehrte nicht mehr wieder, wurde deshalb auch in seiner
Grabesruhe nicht gestört.
Weshalb ich der Frau zu Weihwasser rieth ? Die arme,
gequälte Frau konnte nur durch ihren Frömmigkeitssinn
in eine andere Bahn geleitet werden, auf der sie ihr
eigenstes Selbst wieder gewinnen sollte. Sie hatte festen
Glauben an mein Wort, und ihr Glaube half ihr.*)
Ich komme nunmehr zur zweiten Geschichte, welche
denselben tragischen Ausgang hatte.
Unser Verwalter, der eine zahlreiche Familie hat, liess,
um den Lohn für eine Kinderwärterin zu ersparen, seine
älteste Tochter die Kinder behüten. So hatte diese mit
ihren jüngeren Geschwistern im selben Zimmer zu nächtigen.
In einer sehr grossen, altmodischen Bettstelle schliefen,
quergelagert, der Reihe nach vom Fenster aus: — Ernestine
7jährig, Marie 2jährig, Sophie 5jährig, Paul 4jährig. In
der Wiege, diesem Bette gegenüber, lag das vier Monate
alte Brüderchen, und Katharina, die 16jährige Aelteste, ein
robustes, kerngesundes Mädchen, das eben erst den Kleinen
beruhigt hatte, lag noch gänzlich wach in einer kleinen
Bettstelle, links von der Thüre, die geschlossen war. Da
hörte Katharina die Thüre vorsichtig öffnen und mit leisen
Schritten Jemand eintreten. Da sie glaubte, es sei die
Mutter, setzte sie sich auf und gab ein Zeichen, dass der
Kleine so eben wieder eingeschlafen sei. Da aber gewahrte
sie, dass nicht die Mutter, sondern ein ihr fremder Mann
dastand, dessen Gesicht und Hände durchsichtig schimmerten.
Er stand mit dem Rücken vor dem Ofen, das Gesicht dem
Heiligenbilde zugewandt, vor dem er sich nach russischer,
frommer Sitte verneigte, während er ein Gebet flüsterte.
Dann schritt er leise auf die grosse Bettstelle zu. blieb vor
derselben stehen, flüsterte ein Gebet über die schlafenden
Kinder, legte dann die linke Hand auf den Kopf der
Ernestine ^nd die rechte auf die Stirne der Sophie.
*) Ganz ähnlich wie A. J. Davis in seinem „Zauberstabe" (Leipzig,
Oswald Mutze, 1868) eine ältliche arme Frau von einer vermeintlichen
„Behexung*1 durch böse Nachbarn geheilt hat. Man sehe das
55. Kapitel. — Die Bed.
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