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Füllkruss: Einige Wahrträurao und Verwandtes. 153
Vater war aber nirgends zu finden, er war vor Schmerz
weit hinaus aufs Feld gegangen. — Dieser Zustand kam
später 1876 wieder, sie ist daran gestorben; sie hat, als
sie im Sterben lag, sich auf einmal aufgerichtet, und mit
dem Ausruf: — „Mutter! Mutter! gieb mir Deine Hand!"
— ist sie zurückgesunken und war todt. Es war dies
dieselbe Schwester, deren ich zu Anfang meines Briefes
als eines vierjährigen Kindes erwähnte. Was ich hier
erzähle, kann ich verbürgen, stehe ich doch in einem
xilter, wo mir vielleicht alles bald gelöst wird, was mir im
Leben räthselhaft erschienen ist. —
Manch merkwürdig Ding ist mir noch im Leben begegnet
, was erst nach langen Jahren mir wieder ins
Gedächtniss gerufen wurde. Manchmal habe ich selbst es
nicht für möglich gehalten, dass es so komme», könnte, wie
meine ahnende Seele es voraussah. Es möge dessen genug
sein, was ich erzählte, es giebt vielleicht mir ähnliche
Menschen, die mich verstehen. Ich habe des Lebens
bitteren Ernst von meinem zehnten Jahre an kennen gelernt,
keine frohe Kindheit, keine frohe Jugend gekannt. Alles,
was ich geliebt habe im Leben, ist nicht mehr. —
Noch einen kleinen Anhang will ich hinzufügen. Es
ist aber etwas, was ich nicht selbst erlebt habe. Die
Schwester meines Vaters, Frau Johanna verw. Schulz in
Grimma, dieselbe, von welcher das Buch*) ist, was ich
Ihnen gab, hat es mir erzählt. Zu Anfang der vierziger
Jahre ist sie mit noch anderen Damen nach 11 Uhr Nachts
bei hellem Mondscheine im Juni über den Markt in Grimma
nach Hause gegangen. Das Haus ihrer Eltern steht am
Markt, sie hat aber nicht darin gewohnt, sondern nur ihr
Bruder mit seiner Familie, der damalige Bürgermeister
Füllkruss. Alle Fenster sind dunkel gewesen und Niemand
darin mehr wach. Auf einmal sieht sie im hellen Mondschein
des Hauses Dach mit allen drei Erkerfenstern
zusammenbrechen. Sie ist darüber so erschrocken, dass sie
nicht hat reden können., um die anderen Damen darauf
aufmerksam zu machen. Als sie wieder hinsieht, ist
nichts mehr zu sehen und alles wieder, wie erst. Keine
der anderen Dörnen hatte etwas gesehen. Einige Jahre
darnach, 1845, starb desselben Monats der einzige Sohn
*) „Theorie der Geister-Kunde in einer Natur-, Vernunft- und
Bibelmässigen Beantwortung der Frage: Was von Ahnungen, Gesicht n
und Geistererschemungen geglaubt und nicht geglaubt werden müsse."
Von Dr. Johann Heim. Jung genannt Stilling, Grossherzogl. Badenscher
Geh. Hotrath. (Nürnberg,' im Verlag der Rarv'mhm Buchhandlung,
1808.) XXVIII und 380 S. gr. ö°. — Der Sekr. d. Red.
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