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154 Psychische Studien. XIX. Jahrg. 4. Heft. (April 1892.)
dieses Hauses, und mit demselben erlosch diese Linie der
Familie Füllkruss. Ueber hundert Jahre war das alte ehrwürdige
Haus in dem Besitz der Familie gewesen. Mein
seliger Grossvater hatte es von seinen Eltern; derselbe war
in Grimma Amtssteuer-Einnehmer und Gerichts-Verwalter
für sämmtliche Dörfer, die zum Amtsbezirk Grimma
gehörten. Der gute Grossvater starb, als er 86 Jahr alt
war; dann übernahm es der Aelteste seiner Söhne, dessen
einziger Sohn 1845 starb. Bald darauf kam es in fremde
Hände.
Seien Sie mir nicht böse, dass ich Ihnen dies alles
erzähle, ich habe ein so gutes Vertrauen zu Ihnen: Sie sind
ja ein Landsmann meiner guten seligen Mutter, 1852 reiste
ich mit einer Frau v. Schönberg nach Breslau. Djese wollte
ihren Schwager, den Grafen Harrach und dessen Schwester,
die Fürstin Liegnitz, in Liegnitz besuchen. Infolge eines
lebhaften Traumes, der mir eine seltsame Ueberraschung
verhiess, machte ich einen Abstecher ins schlesische Riesengebirge
. Ich war noch nie in Schmiedeberg und Jannowitz,
der Heimath meiner guten Mutter, gewesen. Ich reiste also
von Breslau ab nach Freiburg per Bahn. Dann musste ich
mit Post von Freiburg bis Kupferberg fahren, und wenn
ich nicht irre, so ging damals die Post über Ihren mir
mehrfach erwähnten Geburtsort Boikenhain. Die berühmte
Bolkoburg und die romantische Schweinhausburg blieben
leider um Mitternacht meinem genauen Anblick entzogen.
Es war den 23. Juni vor Johannistag, Abends 8 Uhr, als ich
von Freiburg abfuhr, und Vollmond, kein Wölkchen am
Himmel, auf allen Bergen brannten die Johannisfeuer. Nie
habe ich eine solche schöne Johannisnacht wieder erlebt.
Nun kam aber die mir im Traume prophezeite Ueberraschung.
In Freiburg stieg eine ältere Dame mit mir ein; als sie
hörte, dass ich aus Sachsen war, frug sie mich, wo ich hin
wollte. Sie hatte dasselbe Reiseziel wie ich. Stellen sie
sich meine Freude vor, als die Dame mir sagte, sie sei
eine Cousine meiner guten Mutter! Sie that es nicht anders,
ich musste mit zu ihr kommen, denn wir kamen erst nach
Mitternacht an. Als ich früh aufwachte, dachte ich, der
Himmel ist ja ganz trübe, es stimmte mich traurig; aber
es waren die hohen Berge des Biesengebirges, die ich in
der Nacht nicht gesehen hatte. Da habe ich bei ihrem
herrlichen Anblick so recht begriffen, warum mein herzliebes
Mütterchen zeitlebens so viel stilles Heimweh gehabt hat.
Ich habe ihr alle schönen Ansichten aus ihrer Heimath zu
verschallen gesucht. Unzählige traurige Stunden hat dies
ihr und mir verkürzt. — Ein Jahr nach dieser meiner Heise
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