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Wittig: Der nächtliche Leuchter und der wilde Jäger, 201
st mir nie gelungen, eine dieser geheimnissvollen Trugflammen
zu erblicken. Da stand ich eines Abends, nach
heftigem Gewitter, am Fenster und blickte hinaus auf den
Hafen; die Brandung rauschte wild, heiseres Mövengeschrei
klang schrill zu mir herüber, und der Nachtwind flüsterte
in den Zweigen der alten Linden vor meinem Hause. Da
zuckten plötzlich kleine Flammen, die hin und her wandelten,
in dem feuchten, am Seestrand gelegenen Wiesengrund auf;
betroffen schaute ich hin, und der Gedanke durchzuckte
mich freudig, endlich Irrlichter bei ihrem Tanz belauschen
zu können. Rasch entschlossen nahm ich Hut und Stock,
um den Spuk in der Nähe zu betrachten; aber was fand
ich auf der nassen Wiese? Ungefähr ein Dutzend alte
Fischerfrauen, die mit Laternen nach Regenwürmern
suchten." — —
„Trotzdem hat es niemals Irrlichter gegeben", —
behauptet also der anonyme Verfasser dieser Mittheilungen.
Abgesehen von der vor einigen Jahren in der zu Halle
erscheinenden „Natur", einer von Dr. Karl Müller redigirten
naturwissenschaftlichen Wochenschrift, eröffneten Discussion,
welche verschiedene bestätigende Eingesandts über dieses
Phänomen beibrachte,*) und der auch in „Psych. Stud."
Januar 1878 S. 33 ff. mitgetheilten Erscheinung an der Paci*
fischen Küste, hat Schreiber dieses, der Sekretär der Redaction,
wenigstens einmal im Leben eine solche für ihn unvergess*
liehe Erscheinung des in Schlesien sogenannten „Leuchters"
in seinem 18. Jahre im Verein mit seiner nun seligen,
damals 47 jährigen Mutter selbst gesehen.
Es war im Jahre 1852 Mitte August, als ich vom
fernen Gymnasium zu den grossen Ferien in meine
Vaterstadt Striegau in Schlesien am Abend des 15. nach
7 Uhr heimkehrte und noch in derselben Stunde mit
meiner resoluten Mutter dem Vater entgegen ging, welcher
von dem eine Meile entfernten, nordöstlich hinter dem
Jarischauer Bergrücken gelegenen Dorfe Jarischau von
Geschäften um diese Zeit nach Hause kommen sollte.
Wir wanderten zum Neuthore hinaus, durch Altstriegau
hindurch, an der uralten St. Hedwigskapelle und deren
Kirchhofe vorüber, auf die Zollmühle (eine sehr alte
städtische Wassermühle) zu, an welcher der älteste Weg
der Stadt gen Breslau vorüber führt. Die Sonne war nach
1/48 Uhr bereits untergegangen und den Tag vorher
Neumond eingetreten, so dass es gegen 8/48 Uhr, als wir
auf die Zollmühle zugingen, schon ganz dunkel war, und
*) Siehe „Die Natur" in Halle Nr. 6 und Nr. 14, 1882.
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