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Wittig: Der nächtliche Leuchter und der wilde Jäger. 203
26. August viele Hunderte von Russen und Franzosen
gefallen und beerdigt worden waren, plötzlich graublau
aufsteigen, dann hellgelb auflodernd sich schütteln gesehen,
so dass sie bei seinem Scheine die Inschrift des kurz vor
dem Eingange des Dorfes dastehenden Wegweisers: —
„2 Meilen nach Goldberg" — deutlich hatte lesen
können. Das Gespenst war zuerst ein »Stück vor ihr, dann,
als sie es sich bekreuzigend im Namen Gottes mit den
uralten Bannworten: — „Alle guten Geister loben Gott
den Herrn! Im Namen Gottes des Vaters u. s. w. •j-j--f\
Verdammter Alp, musst du mich auch hier noch ängstigen!"
(vorher war ihr nämlich schon eine schwarze Gestalt ohne
Gegengruss an einem verrufenen Feldgebüsch begegnet,)
verwünscht hatte, ein Stück seitwärts des Weges gerannt
und hinter ihr verschwunden, während sie todtkrank vor
Schreck sich bis in die elterliche Wohnung geschleppt
hatte und dort erst ohnmächtig geworden war. Ich schrieb
bei ihren oft wiederholten Erzählungen dieses Erlebnisses
ihre damalige Furcht und Ohnmacht nur dem plötzlich
auf sie einwirkenden Schrecken zu und wünschte mir
demnach lebhaft, einmal den Leuchter selbst zu sehen. Sie
aber warnte mich stets sehr ernstlich davor und war des
festen Glaubens, dass mir wohl einmal im Leben etwas
Besonderes von einem Nachkommen oder Landsmann des
ihr dort gespenstisch begegnenden Gefallenen widerfahren^
würde. Bis 1852 hatte ich jedoch in meinem Leben weder
einen Russen, noch einen Franzosen zu Gesicht bekommen,
war aber in meinem zwölften Jahre (1846) eines schönen
Sommertages von meiner Mutter auf meinem Lieblingsrasenplätzchen
im Schatten eines grossen Fliederstrauches
an einem alten Denkmale auf dem grossen Striegauer
Kirchhofe abgeholt und auf den nahen Pfarrhof in die erste
lateinische Stunde gebracht worden, welche mich für's
Gymnasium und das theologische Studium vorbereiten sollte.
Als ich zu dieser Zeit das Denkmal, unter dem ich fast
täglich lateinische Vokabeln memorirte, in seinen drei Inschriften
— in Deutsch, Lateinisch und Kussisch — mühsam
zu entziffern begann, las ich, dass hier ein russischer
General-Major Felix von Paradowsky ruhte, „welcher in dem
grossen Kampfe für Europens Freyheit in der Schlacht an
der Katzbach am 26. August 1813 rühmlichst gefallen
war"! Dort war der erste bedeutsame Wendepunkt in
meinem Leben. Der zweite grössere begann, als ich im
Jahre 1866 mit dem russischen Herrn Herausgeber dieses
Journals in eine nun über 26 Jahre dauernde Verbindung
zu Dresden trat. (Vergl. mein Vorwort zu Davis „Der
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