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Wittig: Der nächtliche Leuchter und der wilde Jäger. 205
führte, die heute nicht mehr existirt. Auf diesem Feldwege
rannte der Leuchter richtig vor uns vorüber und auf jene
Windmühle zu. Die Abendluft war nur ganz leise bewegt,
aber bei weitem nicht so stark, dass ich mir daraus hätte
das schnelle Dahineilen des brennenden Mannes erklären
können. Vor der stillstehenden Windmühle hielt er an und
schüttelte sich, dass die Funken stoben, dehnte sich vor ihr
lang und hoch empor, wie ein Kautschukmann, loderte wie
ein grosses Gebund Stroh, dass ich in seinem hellen gelben
Scheine deutlich die alten und neu eingezogenen Schauben
der Windmühlflügel zählen konnte, und kam von dort aus
plötzlich wieder den alten Feldweg (welcher von Muhrau
nach Dorf Nieder-Streit führt) zurück auf uns zu. Da
wir immer noch 30 Schritt von ihm entfernt standen, sahen
wir seine Gestalt wieder in normaler Grösse, aber weniger
leuchtend, mehr violett und grau, vor uns vorüber rennen
und zwar denselben Feldweg links hinaus auf den von den
drei Striegauer Bergen 1j2 Meile nordnordöstlich gelegenen
Streitberg zu, an dessen Fusse die jetzige neue Hauptstrasse
nach dem Bahnhofe und nach Jarischau vorüberführt
. In der Gegeud des heutigen Bahnhofes, welcher mit
unserem Feldwege durch das Längsthal am Jarischauer
Bergrücken hin etwa in 710 Fuss Seehöhe liegt, erhob sich
das rennende Gespenst auf der Hauptchaussee nach
Jarischau abermals zu erstaunlicher Grösse, nahm die
Gestalt eines Drachen mit breiten Flügeln an und
schüttelte sich dort so lebhaft, dass ich hinter ihm die
damalige Gipfeleiche des dort von der Thalsohle noch
etwa 370 Fuss hohen Streitberges*) zu erkennen glaubte,
unter der mir einst als Knabe schon etwas ßäthselhaftes
beim Beerensuchen passirt war, da sie als verwunschener
Ort galt. Die Entfernung von unserem Standort bis zu
dem genannten Berge betrug ungefähr eine kleine Halbemeile
, bis zum Feuerdrachen etwa eine sechstel Meile. Dort
erlosch nach etwa 50 Secunden anhaltenden Sichschütteins
und Funkensprühens das seltsame Feuerwerk. Die Erscheinung
hatte im Ganzen mit ihrem Hin- und Herrennen
etwa eine Viertelstunde gewährt.
Wir standen nun plötzlich in dichtester Finsterniss,
so dass wir den Fusspfad kaum mehr zu erkennen vermochten
, und bei jedem falschen Tritt in den Seitengraben
hinab geriethen, weil zu wenig Sterne durch den wolkenbedeckten
Himmel herabschimmerten. Der Eindruck des
Ganzen war auch auf mich — wie ich hier offen gestehe
*) Vergl. „Psych. Stud." Juli-Heft 1885 S. 316.
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