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Wittig: Zur Psychologie u. Paychophysik. Nach Dr. Kronenberg. 213
Charakter zurückstehe, ist vor zwei Jahren, anlässlich der
Pariser Weltausstellung, sogar zum ersten Male ein
Congress für Psyehophysik zusammengetreten, dem voraussichtlich
noch weitere folgen werden. . . Allein das
unbedingte Vertrauen auf die neugewonnenen empirischen
Forschungsmethoden und damit verbunden die völlige
Abkehr von der philosophischen Untersuchung psychologischer
Probleme, auf der anderen Seite der ständige Seitenblick
auf die Naturwissenschaften drohen die wahre Sachlage
aufs neue einseitig zu verschieben und die wissenschaftliche
Arbeit auf Irrwege zu führen oder, was vielleicht noch mehr
zu beklagen ist, zur Unfruchtbarkeit zu verurtheilen. Das
Bestreben, die Psychologie den Naturwissenschaften
methodisch möglichst anzunähern, hat bereits vielfach
dazu geführt, auch die Objecte beider Wissenschaften,
die doch ihrer ganzen Art nach verschieden sind, möglichst
analog zu beurtheilen, und jener rein empirische Wissenschaftsbetrieb
, wie die damit zusammenhängende übermässige
Arbeitstheilung haben allmählich vielfach zum unfruchtbaren
Anhäufen von Thatsachenmaterial, zu einem in sich selbst
befriedigten Schwelgen in oft bedeutungslosen Einzelheiten
geführt, die schliesslich geeignet sind, den Zusammenhang
mit den eigentlichen Aufgaben der Wissenschaft ganz aufzuheben
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Verfasser betrachtet die Dr. Hugo Münsterberg"'sehe
Schrift als einen Schritt zur Besonnenheit in dieser Richtung.
Derselbe „wende sich mit allem Nachdrucke gegen das
Verfahren derer, die das Feststellen von Thatsachen —
wiewohl darin der Anfang alles wissenschaftlichen Verfahrens
liegt — als Selbstzweck behandelu, die, wie Prof.
Falkenberg treffend sich einmal ausdrückt, eine Hand voll
Thatsächelchen auf den Tisch streuen und verwundert aufblicken
, wenn man nun auch noch verknüpfende Gedanken
erwartet." — Das jetzige wissenschaftliche Verfahren in der
Psychologie geräth nach demselben in Gefahr, „bei der
Untersuchung der Einzelheiten derart den Zusammenhang
mit den principiellen Fragen zu verlieren, dass schliesslich
die Untersuchung bei wissenschaftlich ganz werthlosen
Objecten anlangt." — „Das alles muss anders werden,
wenn wir nicht der unfruchtbarsten Scholastik zutreiben
wollen, eine Gefahr, die ja auch der Physik und besonders
der Chemie heute nicht ganz fern liegt. Ueberall ist aus
der richtigen Einsicht, dass principielle Probleme die
Untersuchung der Einzelerscheinungen erfordern, und dass
diese Untersuchung relativ unabhängig von der Principien-
frage vor sich gehen darf, der falsche Glaube gewordei,
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