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244 Psychische Studien. 6. Heft. XIX. Jahrg. (Juni 1892.)
einkehren würde. Nach einer halben Viertelstunde kam der
Bediente mit der Nachricht zurück, dass er den Fremden,
weil er schon eine Strecke voraus gewesen, nicht gleich habe
einholen können, dass er ihn zwar von Weitem noch gesehen
, aber auf dem Marktplatz, im Gewühl des Volks
aus seinen Augen verloren habe. — Mozart, der während
der ersten vier Wochen bei dieser Arbeit schon öfters
Anfälle von Schwindel und Ohnmächten gehabt hatte,
bekam sie jet t noch häufiger; er bildete sich nun ein, dass
dies Vorboten des Todes wären, und dass der Fremde wie
vom Himmel gesandt sei, um ihm im Sinn seiner Kunst
einen Wink zu geben, dass seine Sterbestunde herannahe.
Er arbeitete mit desto mehr Fleiss und Liebe, da er es
als eine Arbeit betrachtete, die er nun gleichfalls sich
selbst zum Denkmal bestimmte. Er vollendete dies Meisterwerk
noch vor Ablauf der von ihm bestimmten zweiten
Frist. Eine Stunde vor seinem Tode Hess er sich noch die
Partitur geben und blätterte in derselben. Nach seinem
Tode hat sich der Fremde nicht bei den Erben des Tonkünstlers
gemeldet/' . • .
So lasen wir in unserem Makulatur Matte, Das
B?*ockhau$'sehe Gonversations-Lexikon berichtet nun im
10. Bande 11. Auflage (Leipzig 1867) über diese Episode
Folgendes: — „Während Mozart mit der 'Zauberflöte' beschäftigt
war, wurde auf geheimnissvolle Weise von einem
M ann, der unbekannt bleiben wollte, ein 'Requiem' bei
ihm bestellt. Es ist später bekannt geworden, dass Graf
Halseck auf Stuppach, der seine Umgebung dadurch zu
mystificiren liebte, dass er von Künstlern für ihn componirte
Arbeiten als seine eigenen aufführen liess, zum Gedächtniss
seiner verstorbenen Frau das Requiem bestellt und später
als seine Composition aufgeführt hat. Mozart, dessen schon
schwankende Gesundheit durch übermässige Anstrengung
zerrüttet war, fühlte sich durch die geheimnissvolle Bestellung
geängstigt und schrieb das Requiem körperlich
leidend und in schwermüthiger Stimmung. Ehe er es ganz
vollendet hatte, wnrf ihn eine heftige Krankheit aufs Lager,
der er d. 5. December 1?Ü1 erlag.4*' — Hiernach ist ersichtlich
, dass die vorhergebende, von uns in einer vergessenen
Zeitschrift gefundene Geschichte jedenfalls ihren bestimmten
Anhalt in der ersten über Mozart erschienenen Biographie
Niemtschek's (Prag 1798) oder Nissen's (Leipzig 4828) hat,
und dass die im Brockhaus*'sehen Conversations-Lexikon
befindliche Auflösung des mystischen Bestellers in einen
Grafen Walseck nur eine spätere, nicht genau erwiesene
Yermuthung ist, soweit dies Mozart betrifft. Denn der
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