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246 Psychische Studien. XIX. Jahrg. 6. Heft. (Juni 1892.)
sie die Phantasie des Tonkünstlers in ganz bestimmter
Weise beeinflussten, an dem Werke, das Mozarfs Sehwanen-
gesang werden sollte, mit komponiren; es hat sieh um das
Werk und die Person seines Schöpfers ein Kranz von
Legenden gebildet, und das Interesse der Zeitgenossen an
dem Requiem hatte den Charaeter einer Leidenschaftlichkeit
angenommen, die freilich endlich der kühleren
historischen Kritik unterliegen musste. In seltsamer Weise
sind Mozarfs letzte Lebenstage mit der Gesöhichte dieser
Totenmesse verbunden, ja, die Geschichte der einen ist
zugleich auch die Geschichte der anderen. — Es war im
Juli 1791. Mozart hatte soeben die Zauberflöte vollendet,
als ihm ein langer, hagerer, graugekleideter Mann mit
ernsten, unbeweglichen Zügen einen anonymen Brief überbrachte
, in welchem unter lebhaften Schmeicheleien für
Mozarfs künstlerische Bedeutung die Frage angeregt wurde,
ob Mozart geneigt wäre, eine Seelenmesse zu schreiben.
Mozart beantwortete diese Frage mit Ja und bedang sich
ein Honorar von 100 (oder 150) Dukaten aus. Der Bote
brachte ihm nach einiger Zeit den bedungenen Preis und
rieth dem Künstler, keine weiteren gewiss vergeblichen
Nachforschungen nach dem Auftraggeber anzustellen.
Im August desselben Jahres erhielt Mozart den Auftrag,
zur bevorstehenden Krönung Leopold's III. in Prag als
Festoper Metastastös 'Clemenze di Tito? zu komponiren.
Mozart ist im Begriffe, in den Reisewagen zu steigen, als
plötzlich jener unheimliche Bote wieder vor ihm steht,
Mozarfs Frau am Kleide zupft und nach dem Requiem
fragt. . . Der räthselhafte Bote hat sich längst entpuppt
als ein Mann Namens Leutgeb, Verwalter des Grafen
Walsegg, eines Musikdilettanten, der an dem sonderbaren
Ehrgeiz litt, als grosser Componist gelten zu wollen. Er
hatte sich das Requiem bei Mozart möglichst geheimnissvoll
bestellt, um es als eigenes Werk ausgeben zu können, ohne
fürchten zu müssen, sich lächerlich zu machen. Als Mozart
dann von Prag, wo seine neue Oper 'Titus* nicht den
gehofften Beifall gefunden, nach Wien zurückgekehrt war,
fühlte er sich leidend. Nichtsdestoweniger arbeitete er mit
dem ganzen Feuereifer und dem Ungestüm, welches seiner
leidenschaftlichen Neigung zu dem Stoffe entsprach, an dem
Requiem. Die körperliche Erschöpfung, in welche dieser
Arbeitsfanatismus den genialen Künstler versetzte, hatte
Ohnmächten und Anfälle von Zerstreutheit und tiefer
Schwermuth im Gefolge, und vergeblich suchte Konstanze,
Mozarfs Gattin, durch heitere Gesellschaft und Spaziergänge
seine Melancholie zu verscheuchen. Mit Thränen in
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