http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1892/0259
Wittig: Der nächtliche Leuchter und der wilde Jäger. 251
noch folgenden kurzen Bericht über diesen Fall: — Meine
nahezu 80jährige Mutter erzählte mir auf nochmaliges
Hefragen am 27, October 1884, zwei Jahre vor ihrem Tode,
während ihres letzten Besuches in Leipzig: — der von mir
erwähnte Fall, dass ein „Leuchter" wochenlang alle Abende
einen Müller von seinem Wohnhause nach der etwas entfernt
liegenden Bockwindmühle hin und wieder zurück mit seiner
hin und her schwankenden Laterne stumm begleitet habe,
hätte sich im Dorfe Seichau hinter Hennersdorf an der
Strasse auf Goldberg zu, wo sich der Schlüsselpunkt von
Macdonald'% Heer befand und ebenfalls sehr viele Gefallene
aus der Schlacht an der Katzbach ruhen, um das Jahr 1815
zugetragen. In diesem Dorfe sei ihrer seligen Mutter
jüngerer Stiefbruder Ignaz Wolf aus Hermannsdorf, eines
Freibauern Sohn, Huf- und Waffenschmied gewesen und im
Jahre 1826 im Alter von 43 Jahren daselbst gestorben.
Diese Mittheilung stamme von dem damals 30jährigen
Manne an ihren seligen Vater her. Als der Müller, das
letzte Mal nachts vom Leuchter begleitet, in sein Wohnhaus
am Dorfe zurückgekehrt sei, habe er das halbe Gatter
seiner Hausthür schnell hinter sich zugemacht und zu dem
noch wie erwartungsvoll dastehenden Leuchter, anstatt eines
Dankes für seine treue Begleitung, in grober Weise gesprochen
: — „Nun mach* aber, dass Du fortkommst, und
küsse mich künftig anderswo!" — Da sei der Leuchter
langsam hinter's Haus gegangen und habe dem Müller das
Strohdach seiner Scheune angezündet, so dass Scheune und
Haus noch in derseibigen Nacht unversichert niedergebrannt
sind und der Mann in schweres Unglück gerathen ist. —
Dieser merkwürdige Fall hätte sich also zwei Jahre nach
der Katzbachschlacht ereignet.
Ein Freund, welcher sich für diese spukhaften Familiengeschichten
schon in meiner Originalniederschrift interessirte,
rieth mir als sogenannter „Folklorist", nicht bloss diesen
Beitrag zur Volkskunde und Kulturgeschichte, sondern auch
den folgenden vom sogenannten „wilden Nachtjäger",
über den ich bereits aus des Grafen von Schack „Erinnerungen"
in „Psych. Stud." Mai-Heft 18ö7 S. 230 sub 6) höchst Seltsames
und fast Unglaubliches berichtet habe, und sämmtliche
mir bekannt gewordene Geschichten vom „nächtlichen
Leuchter" und von anderen „Spukerscheinungen" doch
möglichst mit dem eigenen Wortlaute der Erzähler mitzu-
theilen. Die Geschichte vom „wilden Nachtjäger" stammt
von meiner seit dem 30. November 1886 zu Striegau in
Gott ruhenden Mutter, welche sie mir und Anderen sehr
oft mündlich und im Jahre 1853 das erste und einzige Mai
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1892/0259