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Wittig: Der nächtliche Leuchter und der wilde Jäger. 255
Löwenberg und Lauban nach Sachsen hinein zurückdrängen
zu helfen. In Bolkenhain lagen allein 13 Kosaken und
Baschkiren noch mit Pfeilen und Bogen im Quartiere der
verwittweten Mutter meines Vaters, mit denen er sich als
sechsjähriger aufgeweckter Knabe rasch genug befreundete,
um von ihnen allerlei Künste und Handgriffe in Schnitzereien
mit einem eigenartigen Baschkirenmesser zu erlernen, und
die mit ihm und den oft hungernden Seinen (seiner kränklichen
Mutter mit drei Kindern, deren jüngstes er war
ausser einer älteren Schwester und einem ältesten Bruder,)
in aller Gutmüthigkeit ihr Kommissbrot und ihre Fleischrationen
theiUen, — „denn es war damals eine sehr th&ire
Zeit und kein Verdienst weit und breit!" — Nach der
neueren bis 1880 reichenden „Chronik der Stadt
Bolkenhain" von Dr. A. Teichmann — „lag vom Mai bis
August 1813 fortwährend starke Einquartierung von
russischen Truppen, Infanterie, Cavallerie, Kosaken in der
Stadt, und am Tage der Katzbachschlacht (eigentlich an
der bei uns vorüberfliessenden wüthenden Neisse) waren nicht
nur alle Quartiere der Hausbesitzer, sondern die Wohnungen
aller Einwohner mit Soldaten belegt gewesen. Es haben
in jenen Tagen 19 russische Generale und 360 Offiziere hier
im Quartier gelegen." — Die Stadt zählte damals kaum
1500 Einwohner in 250 bewohnten Häusern, innerhalb wie
ausserhalb der sie damals noch von der alten Bolkoburg
herab umschliessenden Ringmauer, gegenüber der doppelten
Einwohnerzahl von heute. Aber ein sehr strenges Regiment
hielten die Russen nach meines Vaters Mittheilungen, denn
er wurde eines Tages ein ebenso neugieriger wie erschreckter
Augenzeuge der blutigen Execution eines diebischen
Soldaten, welcher Spiessruthen laufen musste und unter
ihnen nach mehrmaligem Hin- und Herlaufen starb. „Vor dem
Oberthore auf Würgsdorf zu, links bei der Ziegelei, mussten
die Soldaten Spiessruthen laufen, —- das Blut lief ihnen
immer zu Hemd und Hosen heraus, — und wenn sie nicht
mehr weiter konnten, wurden sie auf eine Trage gelegt und
die ihnen bestimmten Knutenhiebe noch auf ihnen abgehauen.
Erst w:enn sie sich nicht mehr rührten, da schmissen sie
den Mann ins Korn wie einen Haufen Mist von der Trage.
Während der Execution trommelten zwei Tamboure und
spielte die Musik, — da bissen die Delinquenten die in den
Mund genommenen Bleikugeln vor Schmerz breit wie ein
Viergroschenstück. Das habe ich als 6 jähriger Knabe gesehen
. Es waren meistentheils lauter Russen, die standen
am längsten bei uns. Ein Oberster ritt immer dabei hinter
der Linie mit auf und ab, oder Unteroffiziere stiessen in
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