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256 Psychische Studien. XIX. Jahrg. 6. Heft. (Juni 1892.)
der Linie oder der Spiessruthengasse den zögernden Mann
hinterrücks yorwärts." — Davon enthält die Bolkenhainer
offizielle Chronik freilich kein Wort, ebensowenig wie den
S. 44 zwar erwähnten, aber in Gustav Freytag** „Bildern aus
der deutschen Vergangenheit" doch ausführlich enthaltenen
denkwürdigen „Bericht des Bürgers und Kaufmanns Martin
aus Bolkenhayn über die Belagerung der Stadt und Burg
durch die böhmischen Hussiten in den Jahren 1428, 1430
und 1443."
„Damals" — sagte mein Vater in Erinnerung an von
ihnen genossene Wohlthaten — „waren die Bussen mit uns
Preussen gute Freunde, Brüder und Bundesgenossen. Sie
umarmten und küssten einander." — Dass diese Bolkenhainer
ersten und die ihnen folgeuden Sectionen Kosaken
noch im Mai 1813 mit dem ganzen verbündeten fleere der
Preussen weiter auf dem russischen linken Flügel durch das
schlesische Vorgebirge mit vorwärts rücken mussten an alle
die Orte, welche bereits die Mädchenfüsse meiner späteren
Mutter durchpilgert hatten, also nach Jauer, Peterwitz,
Kolbnitz, Poischwitz, Schönau, Hermannsdorf, Hennersdorf,
Seiehau bis Goldberg, woselbst aber am 24. Mai 1813 das
Hauptquartier des Kaisers Alexander L und des Königs
Friedrich Wilhelm III. schon auf dem Rückzüge vor dem
von Möckern, Lützen und Bautzen (20. und 21. Mai) her
siegreich anrückenden Napoleon nur einen Tag aufgeschlagen
wurde, davon hatte meines Vaters damals noch kindliche
Seele selbstverständlich keine Ahnung. So werden ohne
unser Bewusstsein und Zuthun persönliche und Weltgeschicke
von höheren Schicksalsmächten oft schon lange Zeit vor
unserem Dasein geheimnissvoll mit einander verwebt!
Denn es war wohl kein bloss zufälliges Spiel des
Schicksals, dass dereinst ich, sein und meiner von ähnlichen
traurigen Erlebnissen mit heimgesuchten Mutter ältecter,
alle übrigen Geschwister überlebender Sohn, gerade am Tage
der Kriegserklärung gegen Frankreich am 14. Juli 1870
mit meinem Vater die letzte gemeinschaftliche Fusswanderung
nach unserem beiderseitigen Geburtsorte Bolkenhain von
Htriegau aus unternehmen und die ungeheure Aufregung
der Mobilmachung an allen durchwanderten Gebirgsorten
mit durchleben sollte. Auch meines Vaters Schwester
einziger, vor kurzem verheiratheter Sohn wurde in Bolkenhain
mit eingezogen. Mit ihm zusammen führte mich mein
Vater an alle die Stätten seiner und meiner Kindheit, an
die für uns denkwürdige Erlebnisse geknüpft waren. Und
am folgenden Morgen kehrten wir durch denselben Kolniche-
Busch und auf demselben Wege über Baumgarten und
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