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266 Psychische Studien. XIX. Jahrg. 6. Heft. (Juni 1892.)
eigenen Mitfo abgelehrten schon längst mit einander uneins.
Wir werden das gelegentlich nachweisen.*) Und dann wird
sich des Anonymus Bedauern über Richens unfruchtbare
Experimente gegen seihe eigenen Aufgaben kehren. Das
(Jeheimniss, weshalb Richet seine Beobachtungen zusammentrug
und in bestimmter Weise ordnete, miS der Absicht,
dass seine Leser sich selbst die ganz naheliegenden Schlüsse
daraus zögen, liegt einfach darin, dass er die vorhandene
Erkenntnis» erweitern wollte. Die alten bloss mechanischen
Erklärungsprincipien genügen eben nicht mehr zur Erläuterung
der telepathischen Vorgänge; folglich ist man
gezwungen, die so lange verpönten und perhorrescirten
geistigen oder psychischen Erklärungsprincipien wieder
in eine geist- und gottlos gewordene Wissenschaft einzuführen
. Und „etwas wunderbares Thatsächliches" wird man
dabei doch wohl anerkennen müssen: — denn alle Thatsachen
der Natur sind wunderbar, und alle Erklärungen derselben
sind blosse Annahmen oder Hypothesen, von denen nur
diejenige zur festen Theorie werden kann, welche die meisten
Einzelfälle umspannt. Oder ist es keine wunderbare That-
sache, dass eine Magnetnadel ohne sichtbare Berührung
durch dicke Holz- oder Mauerwände hindurch vermittelst
eines Eisenstabes beliebig hin und hergelenkt werden kann ?
Ist das etwa keine „actio in distans4' oder „FernWirkung"?
Und womit hat denn die Wissenschaft die Sache erklärt?
Etwa durch sinnlich sichtbare Beweise für eine Berührung
der Atome des Magneten und des ihn lenkenden Stabes?
Nicht im entferntesten! Lediglich durch die blosse Annahme
eines Begriffes und Wortes „Magnetismus"! Wir haben es
so beobachtet, es giebt eine solche magnetische Kraft, welche
durch alle Gegenstände hindurchwirkt, selbst durch ein die
Electricität isolirendes Glas hindurch! Damit ist die exacte
Wissenschaft mit ihrem Latein zu Ende. Und nichts
anderes thut Herr Richet, wenn er sagt: — „Hier sind
wundersame Thatsachen der seelischen Fernwirkung oder
Telepathie — wir können sie durch eine wahrnehmbare
natürliche und sinnliche Berührung zweier Körper nicht
erklären, folglich müssen wir eine geistige Fernwirkung und
ein Hellsehen annehmen!" — Aber so weit reicht die
Begriffserweiterung des Anonymus nicht hin; er erklärt
derartige Thatsachen lieber durch Betrug, Selbsttäuschung
oder eine geistige Epidemie von Wahnglauben und Verrücktheit
. Wir wollen ihn dabei lassen, bis er von selbst
*) Ist bereits zum Tkeil geschehen in „Psych, Stud." November
und Decembir-Iieft 1886. —
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