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268 Psychische Studien. XIX. Jahrg. 6. Heft. (Juni 1892.)
und in der Erweiterung der bloss relativen Unendlichkeit
jener Folge in dieser ihrer Rikkbeziehung auf den Grund
zu einer absoluten Unendlichkeit besteht ? In diesem Sinne
behalte der Ausspruch Kanfz seine Geltung, der einzig
mögliche Beweis für das Dasein Gottes sei der moralische.
Nur sei der Ausdruck Beweis hier nicht zulässig'?" — Ist
das etwa klar und umfassend? Der alte Kant würde seinen
Kopf über einen solchen Schüler schütteln, der ihn wieder
einmal allein verstanden haben will und doch wieder missverstanden
hat. Ins geliebte klare Deutsch übersetzt heisst
das: — ,.Es giebt keine unsterbliche Seele, sondern blofcs
einen Grund immerwährender Thätigkeit. Es giebt keinen
leibhaftigen, d. h. wesenhaften Gott, sondern ein solcher
ist bloss ein vorausgesetztes Menschheitsideal, das seinen
Grund in sich selbst hat." Eine solche blosse Phrasen-
Philosophie aeeeptiren aber weder Spiritualisten, noch
»Spiritisten; denn wenn schon die Folge jenes Grundes,
die uns als ,.Seele" und „Gottheit" erscheint, nur relativ
unendlich und stets in gewisse Grenzen gebannt bleibt, so
wird die Ursache dafür wohl im „Grunde" selbst liegen,
über den hinaus unsere sinnliche Forschung schwerlich
dringt. Folglich wird die „Seele" und die „Gottheit" in
ihrem tiefsten Grunde ebenso wesenhaft bedingt, d. h.
individuell sein, wie deren leibhaftige Erscheinungen im
menschlichen Körper und im Gesammtbaue der Natur.
Herr Wandt wird mit seiner Ideal-Seele und Ideal-Gottheit
keinem wirklich Einsichtigen die reale Seele und reale
Gottheit durch eine solche Philosophie wegeskamotiren.
Wer sich übrigens über Wundfs „System der Philosophie",
seine Teleologie, Psychologie und seinen einheitlichen
Weltgrund ausführlicher belehren will, der lese Eduard von
Hartmanri% kritische Besprechung desselben in „Preussische
Jahrbücher." Herausgegeben von Hans Delbrück. (Berlin,
Georg Reimer), Juli- und August-Heft 1890. Daselbst finden
wir auch über Wundt % Verwerfung einer absolut unbewussten
Geistesthätigkeit (S. 551) folgende Bemerkung v. Hartmann\ :
- „Nun haben wir aber gesehen, dass alle Activität 'als
solche unbewusst', und nur die 'Negation' derselben, die
Passivität, 'bewusst ist'; das Bewusstsein ist demgemäss
schlechthin passiv, reeeptiv, inactiv und unproduetiv, und
gerade der Ausdruck 'bewusste Geistesthätigkeit' wäre ein
Widerspruch in sich, wenn er nicht durch eine herkömmliche
Licenz so verstanden würde, dass jede unbewusste
Geistesthätigkeit als bewusste bezeichnet wird, wenn die
Fusstapfen ihres unbewussten Schreitens vom Bewusstsein
pereipirt werden, oder wohl gar noch dazu das Ziel der
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