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292 Psychische Studien. XIX. Jahrg. 7. Heft. (Juli 1892.)
die übrigen grausamen Verstümmelungen an Ohren, Händen
und Fingern nicht mitgezählt, 474 den Tod durch das
Schwert, Galgen, Rad oder Feuer gelitten. Die meisten
Opfer des letzteren starben dem 'Hexenwahne',
der den in früheren Jahrhunderten erhobenen Widerspruch
der Vernünftigen völlig zum Schweigen gebracht hatte,
seitdem die Reformatoren diesen, erst kurz vor ihrer Zeit
von einem Papste begünstigten Irrthum(?) durch das volle
Gewicht ihres Ansehens und ihrer Ueberzeugungen bekräftigt
hatten. Herzog Heinrich Julius von Braunschweig Hess in
der Nähe von Wolfenbüttel so viele Hexen verbrennen, dass
die Pfähle, an denen die Unglücklichen angebunden wurden,
das Ansehen eines Waldes gewannen. Noch mehr aber als
die grosse Zahl der Hingerichteten — denn die Menge der
Verbrechen, die Strenge der Gesetze und selbst der Wahn-
glaube(?) der Richter kann dieselben entschuldigen — zeugt
wider den Geist des Jahrhunderts das Wohlgefallen und
die verführerische Lust, mit welcher die Kunst der Qualen
von frommgläubigen Obrigkeiten geübt wird. Wir erinnern
an den grässlichen Tod des lebendig Vierteilens, den
Grumbach und Bruck auf das Geheiss des Kurfürsten August
erlitten, Bruck um keiner anderen Schuld willen, als weil
er seinem Fürsten in den Tagen des Unglücks treu geblieben
war und den Dienst als Kanzler versehen hatte. Die Untersuchungsrichter
behandelten das 'Foltern' als Wissenschaft
und prunkten mit den Kunstausdrücken derselben. In den
Gerichtsakten ward frevelhafter Scherz mit dem Entsetzlichen
getrieben.'
„Eine Anmerkung enthält Beispiele. Henker, die sich
auf die Kunst verstanden, ihre Opfer monatelang zu peinigen,
ohne ihnen das Lebenslicht auszublasen, wurden überall
gegen hohe Besoldung gesucht, denn ein vorzeitiger Tod
des Gemarterten kürzte diesem Geschlecht, dem fröhlicher
Sang und Klang, Tanz, Spiel und Freude am Schpnen als
Sünde erschienen, einen hohen Genuss. — 'Wenn auch das
Todesurteil schon gefallt war, machte es den Richtern noch
Genuss, oft nur ein paar Tage vorher noch eine Folterung
vornehmen zu lassen, so dass die Verbrecher meist zum
voraus zerknickt und zerbrochen auf dem Richtplatz ankamen.
Dieses grausame Spiel, das die Justiz mit dem menschlichen
Leibe treiben durfte, rächte sich furchtbar an den Völkern,
als in den Kriegen, die die kirchlichen Leidenschaften und
Interessen entzünden halfen, Soldaten die Rolle der Henker
gegen wehrlose Schlachtopfer übernahmen, und die Kunst
der Qualen zur Befriedigung der Raubsucht und Wollust,
im Wetteifer mit den Dienern der Gerechtigkeit übten/ —
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