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Menzel: Hexenprozesse.
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Selbstverständlich spielte schon bei den letzteren, also in
der Strafjustiz, die Wollust in ihrer niederträchtigsten,
nicht viehischen, sondern teuflischen Gestalt eine hervorragende
Rolle, wie die beliebten schamlosen Verstümmelungen
von Männern und die an tausenden und abertausenden von
unschuldigen Mädchen vorgenommenen unsagbaren Proce-
duren beweisen, die eine verdorbene katholische Pfaffenphantasie
erfunden hatte, und die nun von sittenstrengen
protestantischen Eichtern und Stadtvätern geübt wurden.
Auch kam es öfter vor, dass ein solches Wesen, wenn es
mit zerbrochenen Gliedern und über und über mit Schnitt-
und Brandwunden bedeckt dalag, auch noch vom Henker geschändet
wurde; 'vom Teufel in des Henkers Gestalt1, wie
die blödsinnige Heuchelei, freilich in einem gewissen Sinne
ganz richtig, in den Akten zu verzeichnen pflegte. Grässliche
Rache der Natur an einem Geschlecht, das die Abbildung
einer schönen nackten Menschengestalt oder einen anmuthigen
Tanz, in dem die Schönheit der Jugend zum Ausdruck
gelangt, als heidnischen Greuel verurteilt haben würde!
„Und wären es nur, ausser den Hexen, lediglich
wirkliche Verbrecher gewesen, an denen diese sogenannte
Justiz verübt wurde! Noch schrecklichere Wirkungen, als
an den Höfen der Fürsten, — schreibt Menzel (a. a. O.
S. 108) nach Erzählung des Kanzler Oeff'schen Prozesses,
— äusserte die theologische Barbarei des Zeitalters in den
Parteiungen des Stadtregiments. Er erzählt nun die
Leidensgeschichte des Henning Brdbant Unter der Führung
dieses gebildeten und tüchtigen Mannes stürzte im Jahre
1601 die Bürgerpartei in Braunschweig den patrizischen
Rath und richtete eine demokratische Verfassung ein. Die
lutherische Geistlichkeit, die mit den Patriziern in Spannung
lebte, hatte die Verfassungsänderung begünstigt, zerfiel aber
bald auch mit den Bürgerhauptleuten. Da sich auch die
Volksgunst von Brabant, der zum Demagogen zu ehrlich
und gutmüthig war, bald abwandte, so wagte es das Stadtministerium
, ihn und seine Amtsgenossen wegen eines
geringfügigen Anlasses zu exkommuniziren. Während noch
über die Wirkung dieses Bannes verhandelt wurde, 'verbreitete
sich im Mai 1604 das Gerücht, Brabant sei auf
dem Aegidienkirchhofe von einem Raben verfolgt
worden; dieser Rabe besuche ihn auch im Hause.
Bei dem damaligen Standpunkte der deutschen Kultur
drohte solch ein Gerücht dem, gegen den es ausgebracht
ward, an Leib und Leben Gefahr; denn dass ein Rabe,
der einen Excommunicirten besuchte, niemand anders als
der Teufel sei, verstand sich von selbst, Brabant hielt es
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