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310 Psychische Studien, XIX. Jahrg. 7. Heft. (Juli 1892.)
die Unmöglichkeit der Erdrotation. Decretirte nicht die
Berliner Akademie der Wissenschaften vor einigen Jahrzehnten
, dass eine Reihe von Wagen nicht auf eisernen
Schienen fortbewegt werden könne, da nicht genügend
Reibung vorhanden und durch die Drehung der Räder auf
Eisenschienen eine solche Hitze erzeugt werde, dass der
ganze Eisenbahnzug verbrennen würde ? Erklärte man nicht
Harvey, als er den Blutkreislauf entdeckte, für verrückt?
Sperrte man nicht Robert Meyer, den Entdecker des Gesetzes
von der Erhaltung der Kraft, in ein Irrenhaas und steckte
ihn, so oft er von der Bedeutung dieses Gesetzes sprach,
in die Zwangsjacke? Keppler, Copernicus, Galilei, Arago und
viele, viele andere waren so Märtyrer des wissenschaftlichen
Vorurtheils und Grössenwahns!
„. . . Wie die Erbitterung der Gegner, so ist auch die
Erregung der Anhänger des Spiritismus begreiflich. Der
Enthusiasmus der Anhänger erklärt sich zunächst daraus,
dass die Weltanschauung des Spiritismus nicht nur, wie
der geistvolle Beurtheiler des Spiritismus, Dr. Karl du Prel,
ausführt, dem Verstände viel zu denken giebt, sondern auch
dem menschlichen Herzen eine Befriedigung gewährt, wie
keine andere. Der tiefste Trieb in der menschlichen Brust
ist der Wille zum Leben; diesem Triebe trägt der Spiritismus
Rechnung, indem er die Portdauer nach dem Tode nicht
etwa zu glauben befiehlt, auch nicht durch philosophische
Gründe blos wahrscheinlich macht, sondern durch empirische
Thatsachen beweist. Der tiefste Schmerz im menschlichen
Leben ist der Verlust geliebter Personen; der Spiritismus
aber will beweisen, dass wir mit den Verstorbenen in
Verkehr bleiben, ja, dass sie zur sichtbaren Darstellung
gebracht werden können. Eine Weltanschauung, die so tiefe
Bedürfnisse des Herzens zu befriedigen verspricht, muss
natürlich enthusiastische Anhänger haben." —
Von Bekanntem ausgehend, will nun Dr. Spatzier das
Unbekannte, den Spiritismus, begreiflicher erscheinen lassen.
Er führt im Wesentlichen aus: — ,.. . . Der narkotische Zustand
, etwa durch Chloroform hervorgerufen, währt nur
kurze Zeit, der Patient glaubt aber lange geschlafen zu
haben, weil er eine längere Reihe von Vorstellungen als in
normaler Zeit hatte. Das Bewusstsein ist hier daher nicht
an den Nervenapparat gebunden. Ebenso im Schlafe, der
dem Opium- und Haschischgenuss folgt, dessen Reiz
bekanntlich darin liegt, dass der Berauschte in wenigen
Stunden oft ein Leben von 20, 30, ja 60 Jahren Dauer mit
allen Einzelheiten durchlebt. Auch in der Nähe des Todes
beobachten wir dieselbe Erscheinung. Es ist eine allgemein
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