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Eine Berliner Press-Stimme zum Falle Valeska Töpfer. 311
anerkannte Thatsache, dass z. B. der ins Wasser Gefallene,
während er mit dem Tode ringt, noch einmal sein ganzes
Leben mit allen Einzelheiten an seinem Bewusstsein vorüberziehen
sieht; während er so in der Vorstellung noch einmal
das ganze zurückgelegte, oft mehrere Jahrzehnte lange Leben
durchlebte, hatte er sich thatsachlich nur eine oder zwei
Minuten unter Wasser befunden. Der in diesem Vorüberziehen
des Lebens im Augenblick des Sterbens liegende
Genuss hatte zur Zeit des berühmten Mönches Bonaventura
(um 1200) in den Klöstern sogar die fürchterliche Unsitte
erzeugt, dass die Mönche sich gegenseitig aufhingen, um
sich dann noch rechtzeitig abschneiden zu lassen.
„Daraus geht hervor, dass wir eine Fähigkeit besitzen,
unsere innere Welt mit einem anderen Zeitmaass zu blicken,
als dem des Wachens. Unser normales, waches Bewusstsein
mit seinem physiologischen Zeitmaass ist also nur eine Form
unseres Selbstbewusstseins. Der Mensch hat demnach ein
doppeltes Bewusstsein; das empirische mit seinem physiologischen
Zeitmaass, und ein transscendentales mit einem ihm
eigenthümlichen Zeitmaass . . .u
Der Verfasser beruft sich nun auf die Träume: —
„. . . Um mit einem historisch gewordenen Traume zu beginnen
, so berichtet Garnier, dass Napoleon I. in seinem
Wagen schlief, als die Höllenmaschine unter demselben
explodirte. Der Knall rief ihm einen langen Traum hervor,
worin er mit seiner Armee den Tagliamento überschritt
und von den Kanonen der Oesterreicher empfangen wurde,
so dass er mit dem Ausrufe: — ,Wir sind unterminirt!'
aufsprang und erwachte. — Richers erwähnt den Traum
eines Mannes, der durch einen in der Nähe abgefeuerten
Schuss erweckt wurde. Er träumte, er sei Soldat geworden,
habe unerhörte Drangsale erlitten, sei desertirt, ergriffen,
verhört, verurtheilt und endlich erschossen worden. Dieser
ganze Traum war aber das Werk eines Augenblicks. —
Hennings berichtet von einem Träumer, der einst seinen
Hemdkragen etwas festgeknüpft hatte und einen ängstlichen
Traum erfuhr, worin er gehenkt wurde. — Maury lag
unwohl im Bette und träumte von der französischen
Revolution. Blutige Scenen gingen an ihm vorüber. Er
sprach mit Bobespierre, Marat und anderen Scheusalen jener
Zeit, wurde vor Gericht gezogen, zum Tode verurtheilt,
durch eine grosse Volksmenge hindurch- und hinausgefahren,
ans Brett gebunden, und das Fallbeil trennte ihm den
Kopf vom Rumpf. Er erwachte mit Schrecken: — die
Bettstange hatte sich losgelöst und war ihm im gleichen
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