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Kursse Notizen. 351
ä) Gaunerei und Rechtsspruch. — Tm Jahre
1567 erschien in der freien Reichsstadt Augsburg ein
hejahrter Mann, welcher sich Freiherr Hans von Wolfenslein
nannte und vorgab, er besitze die Gabe, alle verlorenen und
verborgenen Sachen wieder herbei zu schnffen. Der Freiherr
hatte vielen Zulauf, besonders von vornehmen und reichen
Leuten, und so gelang es ihm, nach aktenmässiger Bestätigung
, binnen wenigen Monaten die damals ungeheure
Summe von beinahe hunderttausend Gülden zu erschwindeln.
Als sich herausstellte, dass die Manipulationen des Freiherrn
auf Lug, Betrug und verschlagenen Ränken beruhten, Hess
ihn der Rath verhaften, und jetzt zeigte sich, dass der
Freiherr ein verkleidetes altes Weib, die Wittwe eines
Schössers, aus Naumburg in Thüringen war. Nach halbjähriger
Gefangenschaft musste sie die Hälfte des erschwindelten
Geldes als Strafe erlegen, mit der anderen
Hälfte wurde sie auf ewige Zeiten jenseits des Rheines
verwiesen und hierzu eidlich verpflichtet; im Fall der
Rückkehr sollte sie den Kopf verlieren. Mit den ihr verbliebenen
50,000 Gulden in der Tasche wird sie sich dieser
Gefahr schwerlich ausgesetzt haben. („Leipz. Tagebl.",
Abend-Ausgabe v. 28. November 1891, Nr. 406, S. 7783,
3. Spalte.) — Es ist bedauerlich, dass über das etwa
Nochvorhandensein dieser Akten nichts Näheres verlautet,
und auch nicht über die Gründe, weshalb der Gewinn aus
dem angeblichen Lug, Betrug und verschlagenem Ränkeschmieden
des als Freiherrn verkappten alten Schösserweibes
wenigstens ihr zur Hälfte verblieb, nachdem man ihr die
andere Hälfte als Strafe abgenommen hatte. Auch über
die Art der verschlagenen Ränke bei doch offenbarer
Herbeischaffung vieler verlorener Sachen ist leider nichts
Genaueres festgestellt, so dass man zu der Ansicht gelangen
könnte, dieser Rechtsspruch sei selbst das gewesen, was er
seinem Opfer imputirt hat, nämlich eine Gaunerei des damaligen
Rechts. Wäre die Frau wirklich so ganz schuldig
gewesen, die Justiz des 16. Jahrhunderts hätte sie sicher
aller ihrer Gulden sammt ihrem Leben entledigt. Wir
haben hier höchst wahrscheinlich ein gutes Sehmedium
jener Zeit vor uns, das vielleicht noch einige einflussreiche
Gönner und Zeugen der Ehrlichkeit ihres Verfahrens hatte,
deren Aussagen man durch die ewige Verbannung zu umgehen
wusste. Fünfzigtausend Gülden hatten übrigens
damals den fünffachen Werth unseres heutigen Geldes.
72 Goldgülden enthielten eine Karat wiegende feine
Mark Gold.
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