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366 Psychische Studien. XIX. Jahrg. 8. Heft. (August 1892.)
wurde, und dessen dereinstiges Schicksal sie durch diese
ihr schreckliche Erscheinung angedeutet wähnte. Er wird
wohl einmal ein schlimmes Ende nehmen, war ihr beständiger
Ausspruch über ihn. Es war ihm in der That beschieden,
mit 21 7« Jahren in der südlichen Kichtung, in welcher das
Nachtgespenst verschwand, nach der Schlacht von König-
grätz (vergl. December-Heft 1891 S. 579 ff.) von der
Kriegscholera befallen und binnen wenigen Tagen am
6. August 186*5 mit 9000 Leidensgefährten im Lazareth zu
Brünn hinweggerafft zu werden. In der Nacht seines
Todes, den Niemand ahnen konnte, hörte es meine Mutter
hinter der Ofenhölle ihres Wohnzimmers zu Striegau in eben
solcher Weise laut knirschen und rasseln wie jenes unheimliche
Gespenst vor seiner Geburt, so dass sie laut ausrief:
— „Emil bist Du es?*4 — worauf das Getöse schwieg. Und
mein Vater hörte es in derselben Nacht von Emifs Tod
und Beerdigung (,,clenn zwei Stunden nach seinem Tode
haben sie ihn schon mit vielen anderen Gestorbenen begraben4
) dreimal wie mit einer starken Ruthe ans Fenster
des dritten Stockwerks, wohin kein Mensch gelangen konnte,
anschlagen, so dass er davon ganz erschreckt erwachte. Erst
viele Tage später erfuhren wir seinen Tod durch einen
Schulkameraden von ihm, der sein Krankenpfleger gewesen
war. Wenn auch dieses vorbedeutende Gespenst nicht in
die Kategorie der sogenannten „Leuchteru zu gehören
scheint, so war doch wohl nur der Vollmond und Schnee
daran schuld, dass es der Muttor nicht glänzend, sondern so
todtenbleich und düster erschien. Sein Verschwinden in
der Richtung nach Striegau zu hat vielleicht auch zunächst
den 1846 daselbst erfolgenden Tod meines fünfjährigen
Bruders Albert (s. Vorwort zu Davis1 „Der Arzt" [Leipzig,
0. Mutze, 1873] S. LXI1) und den 1852 ebendaselbst
erfolgenden Tod meines 16jährigen Bruders Robert, sowie
der Eltern eigene spätere Todesstätten prophetisch mit
andeuten sollen. Ja, noch genau 40 Jahre später raffte
ihnen der Tod am Heiligen Dreikönigsabend eine geliebte
achtjährige Enkeltochter zu Leipzig hinweg. Ich möchte
diese gespenstische Erscheinung aber nicht für einen finsteren
Geist der Hölle, sondern eher für den prophetisch vorwarnenden
Schutzgeist meiner seligen Mutter erachten, der
sie auf diese Weise für kommende düstere Lebensschicksale
symbolisch vorbereiten und stählen wollte. Die wahre
Bedeutung von dergleichen Erscheinungen lässt sich
fast immer erst nach einer volleren Lebensüberschau
richtig erkennen, wie sie mir erst jetzt über die
Schicksale meiner Eltern möglich ist. Der sinnlich wahr-
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