http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1892/0389
Wittig: Ist Frau Val. Töpfer in Berlin wirklich wissenscb. entlarvt? 381
um ihres nicht bloss blinden Glaubens, sondern um ihres
Ueberzeugtseins aus ebenso merkwürdigen Thatsachen
willen, wie neuerdings der Hypnotismus der ungläubigen
Welt doch einen so augenfälligen Beweis geliefert hat.
Man geht gar nicht auf die Beweisführungen des Spiritismus
ein, sondern verurtheilt ihn unbesehen.
Zum Beweise des Gesagten diene noch folgender
Artikel des „Berliner Tageblatts" unter dem Titel: —
Mittelalterliche und moderne Mystik.
In den letzten Tagen wurden neben einander zwei
Vorgänge lebhaft besprochen, die zwar durch keinerlei
äussere Beziehung verknüpft sind, aber dem Kulturphilosophen
doch als verwandte Erscheinungen ein gleichartiges
Interesse erregen müssen. Ein preussischer
Gerichtshof hat zu langer Gefängniszstrafe eine Frau
verurtheilt, die sich vermass, Geister beschwören zu wollen,
und die „Kölnische Zeitung" trat als öffentliche Anklägerin
gegen einen frommen Pater auf, weil er in unserem aufgeklärten
Jahrhundert eine Teufelsaustreibung nach altem
Stil ausgeführt hat.*)
Selbstverständlich liegt es uns sehr fern, den guten
Pater Aurelian so zu beleidigen, dass wir ihn mit der vielgewandten
Frau Töpfer in eine Reihe stellen oder in
moralischer Beziehung irgendwie vergleichen wollen. In
seinem Falle ist es keinem Menschen beigekommen, auch
nur den Verdacht einer beabsichtigten oder bewussten
Täuschung zu hegen. Er selbst wenigstens war sicherlich
von dem frommen Glauben beseelt, ein heiliges und gottgefälliges
Werk zu üben, und wenn von einer Tänschung
die Rede war, so richtete sich dieser Vorwurf nur gegen
den angeblich besessenen Knaben. In dem Berliner Prozess
dagegen war es — trotz der irrthümiichen Ansicht spiritistischer
Fanatiker — nicht an sich der Verkehr mit der
Geisterwelt, sondern ein eiufacher strafrechtlicher Fall, ein
Betrug, der eine so strenge Verurtheilung durch den
Gerichtshof gefunden hat. Noch ein anderes Moment kommt
in Betracht. Der Vorgang in Wemding kennzeichnet sich
als eine religiöse Amtshandlung, die streng genommen nur
der Kritik der kirchlichen Behörden unterliegt. Von einem
religiösen Aergerniss kann in diesem vereinzelten Falle um
so weniger die Rede sein, da jenes bayerische Städtchen,
neben mehr als 2000, wahrscheinlich meist strenggläubigen
*) Man vergleiche unseren Standpunkt gegenüber solchen Besessenheiten
in „Psych. Stud." Juni-Heft 1892 S. 286 ff. uod besonders
Juli-Heft 1892 8. m ff. — Die Red,
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1892/0389