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Wittig: Ist Frau Val. Töpfer in Berlin wirklich wissensch. entlarvt? 383
gebildeten Gesellschaft noch ein Recht haben, über die einfältige
Weltanschauung einer Bauernbevölkerung den billigen
Spott zu ergiessen.
Wir wollen durchaus nicht behaupten, dass diese
gebildeten Menschen immer durch betrügerische Manipulationen
der „Medien" dem Spiritismus in die Arme geführt
werden. Es ist gar nicht zu bestreiten, aber es ist auch
in keiner Weise wunderbar, dass der nervöse Apparat des
Menschen in unnormalem Zustande zu unnormalen Leistungen
fähig ist. Wenn nun der Spiritismus nichts weiter anstrebte,
als diese auflallenden Phänomene pathologisch zu erforschen
und auf ihre natürlichen Ursachen zurückzuführen, dann
bildete er nicht nur einen berechtigten, sondern sogar einen
nothwendigen Wissenschaftszweig. Sobald aber Jemand
irgend eine verblüffende und zunächst unerklärliche Erscheinung
, die ihm entgegentritt, gleich zur Basis einer
neuen Weltanschauung macht und mit Ueberschreitung aller
natürlichen Vernunftschranken den führerlosen Weg in das
übersinnliche Reich, in die Geisterwelt unternimmt, dann
ist schlechterdings nicht zu erkennen, wie eine so begründete
und geartete Weltanschauung höher stehen soll als die
irgend eines mittelalterlichen Teufelbeschwörers. Der bannt
wenigstens nur einen Geist, der sich ihm offenbart, und
diese sind so vermessen, zahllose Geister übermüthig und
unnöthig herbei zu citiren.
Kant sagt einmal — in seiner mit einer feinen Ironie
gewürzten Schrift „Die Träume eines Geistersehers": —
„Welcher Philosoph hat nicht einmal zwischen den Betheuerungen
eines vernünftigen und selbstüberredeten
Augenzeugen und der inneren Gegenwehr eines unüberwindlichen
Zweifels die einfältigste Figur gemacht, die man
sich vorstellen kann?" — Damals hatten gerade die wunderbaren
Leistungen des Geisterbeschwörers Swedenborg und
die Berichte und Zeugnisse hochgestellter Personen, deren
Glaubwürdigkeit über jeden Zweifel erhaben war, eine grosse
Verwirrung in den Köpfen der Gebildeten angerichtet. Kant
„bekennt mit einer gewissen Demüthigutig, dass er so treuherzig
war, der Wahrheit einiger dieser Erzählungen nachzuspüren
. Er fand--wie gemeiniglich, wo man nichts
zu suchen hat--er fand nichts."*) — Vielleicht ist die
*) Aber derselbe Kant hat auch andere Aussprüche fdr den
Spiritismus hinterlassen, deien einer also anhebt: — „Es wird künftig,
ich weiss nicht, wo oder wann, noch bewiesen weiden: dass die
menichliehe Seele auch in diesem Leben in einer unauflöslich verknüpften
Gemeinschaft mit allen immateriellen Naturen der Geisterwelt
stehe u. s. w." („Träume eines Geistersehers4\ Kehrbach'sehe Ausgabe,
Leipzig, Eeclam% 1880, 8. 21.) — Die Red.
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