http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1892/0392
384 Psychische Studien. XIX. Jahrg.. 8 Heft. (August 1892.)
Aufgabe eines wissenschaftlichen Forschers, der diesen
scheinbar mystischen Phänomenen nachgeht, jetzt ernsthafter
und schwieriger geworden als zu Kaufs Zeiten. Einerseits
mögen jene pathologischen Zustände, welche die Spiritisten
mit dem köstlichen Worte „trance" bezeichnen, in unserem
nervösen Zeitalter häufiger puftreten als früher, und andererseits
hat man jetzt vielleicht Mittel gefunden, sie künstlich
zu erzeugen. Aber was auch immer das Ergebniss einer
wissenschaftlichen Untersuchung sein wird, man wird da
nichts finden, wo eben der Mensch mit den festen Schranken
seines psychophysischen Apparats nichts zu suchen hat. Man
kann für natürliche Erscheinungen immer nur natürliche
Ursachen finden.
Das moderne Gewand, mit dem der Spiritismus vergeblich
die Blossen seines plumpen und uralten Aberglaubens*) zu
verhüllen sucht, ist nicht nur aus wissenschaftlichen Stoften
fadenscheinig zusammengestopft. Auch die Religion — das ist
wieder bei dem Berliner Prozess hervorgetreten — soll
gegen zudringliche Einblicke und Angriffe Schutz gewähren.
Dem Materialismus gegenüber brüstet man sich mit dem
Glauben an die Unsterblichkeit der Seele und sucht so in
religiösen Gemüthern Sympathien zu wecken. Es würde
uns weit über den Kähmen dieses Artikels hinausführen,
wollten wir im Einzelnen den Beweis erbringen, wie der
Materialismus an dieser spiritistischen Vorstellung von dem
Wesen Jer Seele, die aus dem Kindesalter dor Menschheit
stammt, eher eine Stütze als eine Widerlegung finden kann.
Das Rüstzeug zur Bekämpfung des Materialismus liefert
die Wissenschaft selbst. Es liegt seit Kant für jeden
Denkenden bereit und wird durch die moderne Naturwissenschaft
immer wieder erneuert. Religion und Wissenschaft
aber können im Kampf gegen die materialistische Weltanschauung
keinen schlechteren und gefährlicheren Bundesgenossen
finden als den Spiritismus^?)*515)
Indessen, der Aberglaube, so antireligiös er seiner Natur
nach ist, hat sich allezeit den Anschein der Religiosität
gegeben. Das Neue an dem spiritistischen Aberglauben
ist nur, das er sich auch wissenschaftlich geberdet. Deshalb
kann und sollte man ihm auch nur mit wissenschaftlichen
Waffen entgegentreten. Nun haben ja wohl unsere geistigen
Grossmächte zu dem Spiritismus ihre Stellung genommen,
*) Wo bleibt aber der doch auch vom Spiritismus als Spiritualismus
mitvertretene höhere sokratische Geisterglaube? — Die Red.
**) Und doch ist der Kern aller Religion Spiritismus oder
Geisterglauhe! „Löse mir, Graf Oerindur% dieses Räthsei der Natur!"
Die Red.
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1892/0392