http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1892/0400
392 Psychische Studien. XIX. Jahrg. 8. Heft (August 1892.)
und Schwert gewütbet, wo ärztliche Hilfe und Berathung
besser am Platze gewesen wäre; aber wir müssen auch
bedenken, in welchem Stande sich die damalige Wissenschaft
befand. Als Unterlage eine Philosophie, die an die Realität
und die gegenseitigen geheimnissvollen Beziehungen der
Abstracta glaubte, eine Naturwissenschaft, die aus einem
Sammelsurium des Aberglaubens eines ganzen Jahrtausends
bestand, und eine Medicin, der der Zusammenhang körperlicher
Reizungen und seelischer Vorstellungen gänzlich
verschlossen war. Es war nach dem Vor Stellungskreise
jener Zeit kaum anders möglich, als dass man als wirklich
annahm, was jene alten Weiber im Rausche träumten und
unter der Folter in übereinstimmender Weise aussagten.
Wir müssen ferner berücksichtigen, dass die damalige
Rechtspflege harte Strafen anwandte, dass man den Dieb
henkte und den Ehebrecher verbrannte, und dass es die
Voraussetzung des Rechtsschutzes war, dass man der
Staats religion angehörte. Der Gebannte war zugleich
vogelfrei. Wir finden es auch begreiflich, dass mit dem
Elend des dreissigjährigen Krieges das in Rede stehende
Volkslaster an Ausbreitung gewann, gerade so wie unter
den Elenden des jetzt lebenden Volkes der Schnaps seine
Verwüstungen anrichtet. Es soll weder bestritten, noch
entschuldigt werden, dass die Hexenverfolgungen zu einer
Zeitkrankheit wurden, dass man Unschuldige verfolgte, zu
falschen Geständnissen nöthigte und aburteilte, und dass
auch unlautere Motive dabei waren. Aber trotz alledem
steht es uns nicht wohl an, uns den Irrthümern früherer
Zeiten gegenüber für so sehr Erleuchtete und Gerechte zu
halten. Wie hat man noch in der ersten Hälfte dieses
Jahrhunderts Irrsinnige behandelt! Im Namen der
Wissenschaft hat man gegen diese Unglücklichen Poltern
wie den Drehstuhl und die kalte Dousche angewandt, die
der schönsten mittelalterlichen Polterkammer würdig waren.
Und noch heute ist die Präge der geistigen Zurechnung
der faule Punkt unserer Rechtspflege." —
In gewissen besonderen Fällen vermögen wir den vorstehenden
Ausführungen des Artikelschreibers der „Grenzboten
" beizustimmen, nämlich nur in denjenigen, bei welchen
Einreibungen mit sogenannter „Hexensalbe" stattfanden.
Aber damit sind doch keineswegs alle diejenigen Fälle
erschöpft, in deaen ohne Salbe ähnliche und noch wundersamere
Erscheinungen zu Tage treten, welche die Hexenrichter
damaliger Zeiten erst recht nicht sich zu erklären
vermochten und deshalb in den allgemeinen Topf des
Teufelsglaubens warfen, Die eigene Lüsternheit der
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1892/0400