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Wittig: Ein Wort für und an die Hexenrichter, 393
Inquisitoren mag dabei mit Vorliebe bei Blocksbergsscenen
verweilt und diese besonders gebucht haben. Wer jedoch
den modernen Mediumismus durchstudirt und die von
Crookes, Wallace, Hare9 Zöllner und anderen berühmten
Naturforschern constatirten Phänomene, welche sich nach
den Gesetzen unserer normalen Sinnenbeobachtung nicht
erklären lassen, in Betracht zieht, der wird sich nicht mehr
verwundern, dass selbst unsere um so viel aufgeklärteren
Bichter und Geschworenen des 19. Jahrhunderts noch nichts
anderes mit einem „Resauer Spuk" und ähnlichen Vorgängen
anzufangen wissen, als solche, anstatt dem Teufel, der
eingeborenen oder durch vernachlässigte Erziehung
erworbenen menschlichen Bosheit und Tücke zuzuschreiben
und den Betrugsfällen und dem groben Unfuge zu
subsumiren. Es wird höchste Zeit, dass wenigstens unsere
vorurteilsfreieren Mediciner und Gerichtsärzte, ebenso wie
die früher verkannten Fälle der griechischen Urningsliebe,
so auch die des modernen Mediumismus sorgfältiger als
bisher in den Bereich ihrer gewissenhaften Forschungen
einbeziehen und so viele Unschuldige vor ungerechten
Verurtheilungen ähnlich bewahren, wie dies bereits mit den
früher in somnambulen und hypnotischen Zuständen
agirenden und bestraften Gesetzesübertretern geschieht.
Ob diese Nervenzustände unserer Psychosen ein „Volkslaster
" sind, möchten wir so lange bestreiten, als nicht
nachgewiesen ist, dass auch unsere vielfach verschrobenen
Zeit- und Existenz-Verhältnisse nicht ihr gutes Theil mit
dazu beigetragen haben. Ein Hypnotisirter bedarf z. B.
keiner Salbe, sondern nur des Anblicks eines spiegelnden
Gegenstandes, eines Knopfes, eines Auges, um in seinen
befremdlichen Zustand zu gerathen und seinen Mitmenschen
zum lebenden Räthsel zu werden. Ebenso ist dies mit den
meisten Trance-Medien der Fall, die doch für ihre Natur
nicht können, sondern deren Gesetzen unwillkürlich unterworfen
sind. Vielleicht ist eine Heilung durch Autosuggestion
möglich, aber hierzu gehört Anleitung und
jahrelange geduldige Uebung und Selbstbeherrschung
wie Selbstdisciplin. Wie Wenige aber verstehen selbst
unter den Medicinern vom Fache, geschweige im unbelehrten
Volke, etwas hiervon. Wir möchten weniger ein Wort der
Entschuldigung für die Hexenrichter früherer Zeiten, als
ein Wort der Mahnung an die Hexenrichter der Gegenwart
bereits halten, dass sie ihres Amtes nicht mit einem neuen
Aberglauben warten, als ob alle diese Vorkommnisse
eitel Lug und Trug, Böswilligkeit und Verbrechen seien,
sondern der Sache auf Grund einer reichen Erfahrung und
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