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du Prel: Das Sprechen in fremden^Zungen« 433
nicht nur die europäischen, sondern auch amerikanische
Sprachen verstand.1)
Die eigentliche Sprachengabe, „Glossolalie" — yX&Oöaiq
XaXXelv —, bei welcher fremde Sprachen gesprochen werden,
und die den Superlativ zu bilden scheint, kommt nicht nur
in der Bibel, sondern auch bei Heiligen vor, z. B. bei
Stephanus, der auf seinen Missionsreisen türkisch, griechisch
und armenisch so geläufig spricht, dass er die Bewunderung
der Eingebornen erregt.2) — Merkwürdiger Weise wird nun
davon viel häufiger berichtet, als vom blossen Verstehen
fremder Sprachen. Ich suche den Grund davon darin, dass
die Glossolalie keine active Fähigkeit ist, sondern auf
passiver Empfänglichkeit beruht. Sie ist also eine
mediumistische Eigenschaft. Als active Fähigkeit, da zu
ihr jede Vorbedingung fehlt, lässt sie sich auch gar nicht
denken, man müsste denn zur atavistischen Erinnerung seine
Zuflucht nehmen, oder gar eine auf eine frühere Incarnation
zurückgreifende Erinnerung annehmen.
Die Grlossolalie vermöge passiver Inspiration kann nun
in verschiedener Weise gedacht werden, zunächst als
„hypnotische Willensübertragung", wie bei dem Hindumädchen
von Baumstark, wobei die vom Agenten (Einwirkenden)
gedachten Laute unverstanden nachgesprochen werden;
oder als eigentliche „mediumistische Fähigkeit", wobei von
Seite eines unsichtbaren Agenten directe Besitzergreifung
von den Sprachorganen stattfindet. Wir finden dieselbe
nicht nur bei den Besessenen des Mittelalters, sondern schon
in sehr frühen Zeiten. Nach Pausanias wurde bei den
Orakeln den Barbaren häufig in ihrer eigenen Sprache
geantwortet, so dem Boten des Mardorius, einem Carter, im
Tempel des Apollo.*) Ebenso sprach der Oberpriester des
Ammon mit Alexander griechisch, aber so, wie man eine
fremde Sprache spricht.4) — Jamblichus schildert Sprachmedien
, wenn er sagt, dass sie Worte ausstossen, welche
sie selber nicht verstehen, wie Rasende, was ein Merkmal
des Enthusiasmus sei, und dass sie von den Gröttern ergriffen
seien.6) — Das unartikulirte Reden, welches die
Apostel beim Pfingstwunder in den Verdacht bringt, sie
seien süssen Weines voll, schildert auch Psellus, wenn er
von den vom Dämon Ergriffenen sagt, dass sie „keine
hörbaren Stimmen von sich geben, welche die Luft in
*) Schindler: — „Das magische Geistesleben." 238.
*) Görres: — „Die christl. Mystik." IL 193.
3) Pausanias IV. c. 23.
4) Plutarchx — „Alexander." c. 27.
6) Jamblichus \ — „De myst. Aegypt." III. c. 8.
Psychisch© Studien. SeptemHr 1892. 28
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