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458 Psychische Studien. XIX. Jahrg. 10. Heft. (October 1892.)
und seit einigen Jahren auch in Deutschland viele
Gelehrten beschäftigt. „Die psychische Wissenschaft" —
sagte Coues in jener Rede — „hat das Reich der physischen
Wissenschaften nahezu besiegt. Können wir nicht auf die
psychische Wissenschaft unsere Hoffnung bauen, dass auch
sie ihre Herrschaft auf Erden beginnt?"
Wir können daraus entnehmen, welch' eingehendes
Interesse Prof. Coues, zum Unterschied von seinen speziellen
deutschen Fachgenossen, jeder Art von psychischer Forschung
entgegenbringt, und werden uns nicht darüber wundern,
dass er jüngst sogar eine Erholungstour nach dem Westen
dazu benutzte, um seine Erfahrungen auf diesem Gebiete
zu bereichern, wie uns eine Chicagoer Zeitschrift, das
„Religio-Philosophical-Journal", welches Coues zu seinen
regelmässigen Mitarbeitern zählt, in seiner Nummer vom
27. Februar 1892 berichtet.
Wir lesen dort, dass Prof. Coues vergangenen Herbst
nach langer Krankheit in dem herrlichen Klima von
Kalifornien Stärkung suchte, und dass er während dieses
Aufenthaltes viele interessante Experimente in psychischer
Forschung anstellte, worüber er in jenem Journal zu
berichten beabsichtigt.
Der betreffende erste californische Bericht unseres
Biologen ist überschrieben: — „Jndependent slate-writing a
fact in nature", — wörtlich übersetzt: — „Unabhängige
Tafelschrift eine Naturthatsache." —
Was soll das heissen? „Ich verstehe" — sagt Coues
selbst — „unter der Bezeichnung 'unabhängige Tafelschrift'
die Bildung von lesbaren Buchstaben und Wörtern auf einer
Tafel durch einen Griffel, welchen Niemand berührt, während
das Schreiben erfolgt. Wenn diese Definition correct ist,
dann steht es für mich fest, dass unabhängige Tafelschrift
eine Thatsache in der Natur ist."
Die psychische Forschung spricht bekanntlich noch von
einer anderen Art Schrift, der sogenannten 'automatischen
Schrift*, die ja nicht verwechselt werden darf mit jener
Art Schrift, welche von Coues und seinen Landsleuten
'unabhängige Schrift', bei uns gewöhnlich 'directe Schrift'
genannt wiid. 'Automatische Schrift' lässt sich definiren
als die Bildung von lesbarer Schrift, wobei Jemand den
Stift oder Griffel hält, ohne sich dabei dessen bewusst zu
werden, was er schreibt. Also gewissermaassen ein
unbewusstes Schreiben — ein sehr häufig zu beobachtendes
Phänomen, während das Phänomen der 'unabhängigen
oder directen Schrift' äusserst selten beobachtet wird, so
selten, dass selbst Prof. Coues in den langen Jahren,
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