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480 Psychische Studien. XIX. Jahrg. 10. Heft (October 1892.)
— Es kamen Besuche, und wir mussten abbrechen;
ich hatte auch an diesem Tage keine G elegenheit, mit dem
Fräulein weiter zu sprechen.
Ein paar Tage nachher erhielt ich ein ßriefchen von
ihr, worin sie mir mittheilt, dass sie täglich öfters
„schreibe" und mit „überraschendem Erfolge". — Wieder
einige Tage nachher sehrieb sie mir, dass sie auch Klavier
spiele, zeichne und singe (Künste; von denen sie nie die
Anfangsgründe gekannt hatte).
Und wiederum sandte sie mir Nachricht: — sie sei
in grösster Nervenaufregung, sie müsse fortwährend
schreiben.
Endlich konnte ich das Fräulein wieder sehen und
fand sie recht angegriffen, mit zeitweise unstetem, fast
stechendem Blick. Sie theilte mir mit, sie habe mit
ihrem verstorbenen Papa auf dem Papier öfters gesprochen,
dann habe sie plötzlich immer „gefühlt", es komme ein
anderer Geist dazwischen, und der habe sich mit dem
Namen eines längst verschollenen Stiefbruders (an den sie
seit Jahren kaum gedacht) und zugleich als ihr Schutzgeist
angekündigt; auf Befragen habe er das Land
genannt, wo er gestorben sei, und auf verschiedene
drängende Bitten, zu sagen, wie er gestorben wäre, habe er
endlich zögernd: — „Mord" — geschrieben, weitere Auskunft
darüber aber verweigert, (resp. uns ohne Antwort gelassen).
Nochmals habe sie einen Wechsel gefühlt, und da habe
ihre Hand versucht, Zeichnungen zu entwerfen. Auf
die Frage, welcher Geist jetzt um sie sei, kam die Antwort:
— Maler C. Sch. — Sie bat um nähere Auskunft, da sie
nie diesen Namen gehört habe. Antwort: — er sei Freund
eines vor etlichen Jahren verstorbenen Bekannten des
Fräuleins gewesen. Nachdem sie während zwei Tagen
verschiedene Zeichnenübungen habe machen müssen,
schrieb der Maler C. Sek, er verlasse sie nun, da sie kein
Zeichnentalent habe. Nun wieder an einem Morgen zog
es sie mit unwiderstehlicher Gewalt zu einem alten
unbenutzten Piano; sie erzählte mir, wie ihre Hände
eigentlich über die Tasten gerast seien, und dass sie
versichert sei, sie habe eine der schwersten Wagner1 sehen
Compositionen gespielt. (Es waren leider nur Dienstmädchen
und ein Kind im Hause; ich konnte also Niemand, der
Verständniss fürs Spiel hat, über das ihrige befragen.)
Nun sang sie mit einem Mal auch einige Poesien, die
man ihr — besonders auf den Tod ihres Vaters — ins
Album geschrieben, indem sie die Melodie improvisirte,
„und fühlte, dass sie ganz rein singe." Aber auch Uebungen
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