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Wittig: Der Spuk in L.-Lindenau y. d. königl. Schöffengericht. 49
noch aus, um die weitere Thätigkeit des grossen Spukgeistes
zu beobachten.
Dies war im Allgemeinen die Stimmung, welche sich
in den Zeugenaussagen des gerichtlichen Nachspiels der
grossen Spukerei widerspiegelte. Der Klopfgeist war nämlich
behördlich citirt worden und hatte auf dem ominösen
Stühlchen vor der Anklagebank Platz nehmen müssen. Er
sah übrigens so harmlos aus, dass man ihm kaum die
eminente Wirkung seiner Thätigkeit hätte zutrauen sollen.
Man stelle sich ein junges, hochblondes Dienstmädchen vor,
das kaum der Schule entwachsen ist, und dessen bisherige
Personalacten so weiss sind wie ihre frischgewaschene,
sauber geplättete Schürze, — das war der Spukgeist, oder
soll es wenigstens nach der Anklage sein. Das junge
Mädchen heisst Anita Martha Harting, ist am 9. März 1878
in Leutzsch geboren und stand vom 15. April bis zum
5. üctober bei Herrn Restaurateur Sander, Augustenstrasse 18
in Lindenau, in Dienst. In Folge der polizeilichen Recherchen
in der grossen Spukaffaire wurde ihr auf Grund des
§ 360, 11 des Strafgesetzes seitens des Polizeiamtes ein
Strafmandat über 10 Mk. Geldstrafe zugestellt. Hiergegen
hat sie Einspruch erhoben und die gerichtliche Entscheidung
beantragt, und so ist es denn gekommen, dass sich
das Schöffengericht gestern, Freitag, mit der Sache in
öffentlicher Verhandlung befassen musste. Das Strafmandat
war nur erlassen, weil die Angeklagte am 13. September
früh gegen 7 Uhr im Keller des Sander'schen Restaurants,
,in welchem es' — so sagt das Schriftstück — ,damals
spuken sollte/ mit einem Hammer gegen Holzgegenstäude
geschlagen, hierdurch aber beim Publicum, das sich damals
oft schaarenweise vor dem Hause ansammelte, Aufsehen
erregt hat und die öffentliche Ordnung störte; Uebertretung
nach § 360, 11. In der Verhandlung dehnte jedoch der
Vertreter der Staatsanwaltschaft die Anklage auf die ge-
sammte Spukzeit, welche von Anfang September bis zum
5. October dauerte, aus und legte dar, dass die Angeklagte
in dieser Zeit nahezu täglich durch Pochen mit einer
Scheuerbürste, einem Borstbesen etc. an der Treppe des
Hauses geflissentlich den Glauben habe erwecken wollen,
dass es dort spuke.
Die Angeklagte, welche sich rühmen darf, auf ihren
letzten Schulzeugnissen in Betragen, Eleiss und Aufmerksamkeit
die Nr. 1 gehabt zu haben, bestreitet den Inhalt
der Anklage und giebt nur zu, dass sie einmal, und zwar
am Tage, nachdem der Spuk aufgekommen, — es dürfte
dies am Donnerstag den 8. September gewesen sein, — sich
Psychische Stadien. Januar 1893.
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