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84 Psychische Studien. XX. Jahrg. 2. Hoft. (Februar 1893.)
nicht geleugnet werden, eine Kraft, die tödten, aber auch
heilen und gesund machen kann. Alles hängt nur davon
ab, sie richtig anzuwenden. Sehen wir nun, wie der
flypnotismus diese Kraft ausnutzt. Merkwürdig! Wir haben
sie selbst — wenn auch unbewusst — oft genug schon
verwerthet.
1) Ein kleines Kind stösst sich mit dem Kopf an die
Tischkante. Es fängt vor Schmerz zu weinen an. Wir
streicheln sanft die schmerzende Stelle und sagen: — „Heile,
heile! Wart', jetzt ist es gleich vorbei!" — Und wirklich,
das Kind beruhigt sich und fühlt gar nichts mehr. — In
diesem Falle haben wir dem Kinde eine Vorstellung, eine
Idee untergeschoben, eingegeben, eingeflösst oder eingeredet,
und zwar mit solcher Bestimmtheit, dass die Vorstellung
sich in Wirklichkeit umsetzte und die beabsichtigte Wirkung
thatsächlich herbeiführte. Das nennt man „suggeriren".
Das Eingeredete selbst heisst eine „Suggestion". Von
dem, der eine Suggestion in sich aufnimmt, für dieselbe
also empfänglich ist, sagt man, er sei „suggestibel". Da
die obige Suggestion in Worten bestand, so war es eine
„Verbalsuggestion" (vom lateinischen verbum. Wort),
und weil sie von einer anderen Person ausging, eine
„Fremdsuggestion." Man kann sich aber auch selbst
etwas suggeriren.
2) Wenn ich eine Seereise mache, bekomme ich regelmässig
die Seekrankheit im ärgsten Maasse. Als ich auf
meiner letzten Heise von London nach Paris über den
stürmischen Kanal fuhr, fürchtete ich natürlich wieder, von
jener abscheulichen Krankheit überfallen zu werden, und
das um so mehr, als mein Magen sich in einem sehr
schlechten Zustande befand. In Erwartung der bösen Dinge,
die da kommen sollten, setzte ich mich niedergeschlagen in
eine Ecke. Doch da besann ich mich plötzlich. „Halt!"
dachte ich, „versuchen wir es einmal mit einer Suggestion.
Ich stellte mir also ganz bestimmt vor, dass mein Magen
ja ganz gesund sei, und dass ich keinerlei Uebelkeit verspüren
werde. Und wirklich, es war das erste Mal in meinem
Leben, dass ich dem unerbittlichen Meergotte den Tribut
schuldig blieb, den ich doch sonst immer gleich nach den
ersten zehn Minuten zu entrichten hatte. — Eine solche
Suggestion, die man sich selbst giebt, heisst „Selbstoder
Autosuggestion."*) Da die unter Nr. 1 und 2
*) Ueber sie handelt ausführlicher die Schrift von Dr. med. William
Baker Fahnestock zu Lankester in Pennsylvania: •— „Statuvolence
oder der gewollte Zustand und sein Nutzen als Heilmittel in Krampf-
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