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408 Psychische Studien. XX. Jahrg. 2. Heft. (Februar 1893.)
nicht von einem Seelensubstrat reden. Mit Recht sagt er,
die Seele ist ganz Fühlen, Denken und Wollen, und es hat
keinen Sinn, daneben noch eine wirkende Substanz anzunehmen
. Aber auch Sonne, Erde, Mond und Sterne sind
ganz Schwerkraft, ganz Anziehung, und es hat keinen Sinn,
daneben noch eine materielle Substanz anzunehmen. Bereits
Kant sagte mit Beziehung hierauf: — Die Materie ist das
bewegend Bewegliche, das anziehend Angezogene. — Hiernach
heisst die Materie Kraft als Bewegendes oder Anziehendes,
sie behält den Namen Materie oder Stoff als Bewegtes oder
Angezogenes (als Last oder Widerstand Leistendes). Das
kleinste Massetheilchen kann daher Kraft und kann Stoff
oder Substrat genannt werden, da es Anziehung ausübt und
angezogen wird. Ebenso kann man aber auch die Seele
eine Kraft, einen selbstbewussten, sittlichen Willen nennen,
und man kann von ihr auch als von einem Substrat oder
Stoff des sittlichen Willens, Pühiens und Denkens reden.
Namenilich bei der Unsterblichkeitsfrage, welche
der Verfasser ebenfalls berührt, ist es wichtig, zu denken,
dass die Seele, obgleich sie nur durch die Thore der Sinne
die Summe ihres Inhalts sich aneignen konnte, trotzdem,
bei dem Parellelismus der Vorgänge, nach dem Zerfall des
physischen Leibes, mit ihrem angeeigneten Inhalt als ein
Daseiendes, als seelische Substanz fortdauern kann." —
Dieser Ansicht ist aber Professor Wundt offenbar nicht,
wenn er ein Seelensubstrat leugnet. Vergl. ,,Psych. Stud."
Juni-Heft 1892 S. 267ff.
g) Ein Correspondent C. ä. M. in „Das Magazin für
Litteratur" Nr. 41 v. 8. October 1892 bespricht in seinem
Artikel: — „Die neue Manie" — Zotäs demnächst zu
erwartende Heiligengeschichte von Lourdes, — ferner die
jetzige Jagd der Franzosen nach Bayreuth zu den Wagner-
Aufführungen, deren 40U0 in diesem Jahre nach Wahnfried
gepilgert seien, von den Engländern freilich deren 7000, um
den „Parsifal" zu hören, in dem sie endlich wieder einmal
den adäquaten Ausdruck ihrer mystischen Neigungen
gefunden haben sollen. „Zwei Jahre lang nun haben sie
umher gesucht danach, nach dem neuen Cultus, nach der
neuen Religion des vom Naturalismus des letzten Jahrzehnts
, vom Skepticismus '?nd Sensualismus angewiderten,
wieder nach tief katholischer Mystik verlangenden Gemüths.
Was haben sie alles angestellt, das neue Dogma zu finden,
das die Erlösung bringen sollte ! Dort Sar Peladan (8. 96) und
seine Ritter von der Rose f Croix (d. h. der Rosenkreuzer).
Hier die Schüler Swedenborg's, des Mystikers, die ein Neu-
Jerusalem vor kurzem erst in Paris gegründet haben, in der
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