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Wittig: Frau Valeska Töpfer vor der zweiten Berliner Instanz. J33
nicht in einem bewusstlosen, traumähnlichen Zustande, gleich
den Mondsüchtigen, gehandelt und auch mit der Suggestion
die Handlungsweise nicht zu erklären ist. — Vertheidiger:
— Es ist zweifellos, dass der Spiritismus mit Glaubens-
f matismus enge Verwandtschaft hat. Eine Schwester und
ein Bruder der Angeklagten gehörten einem frommen Verein
an, die Angeklagte hat in Dresden bekundet, dass sie ihre
Manipulationen gemacht, damit die Leute frömmer und
besser werden. Ist der Herr Sachverständige der Meinung,
dass die Angeklagte aus Glaubensfanatismus gehandelt hat?
— Sachverständiger: — Das kann ich nicht sagen.J
Die Beweisaufnahme wird hierauf geschlossen [und es
beginnen die Plaidoyers]. — Rechtsanwalt Wronker plaidirt,
unter strenger Verurtheilung der krankhaften Auswüchse
des Spiritismus, auf Freisprechung der Angeklagten. Gegen
solche Auswüchse könne man nur durch Aufklärung ankämpfen
. Der Spiritismus sei weniger eine Ueberzeugungs-,
als eine, Wahnsache. Merkwürdig sei jedenfalls, dass die
Geister sich immer so kleinlich zeigen und ganz vernünftige,
alte, ehrwürdige Leute, wenn sie ins Geisterreich kommen,
nur noch Allotria treiben.*) Einen Sokrates oder Plato,
Schinkenknochen werfend, könne man sich eigentlich kaum
denken. Wenn nur ein einziges Mal ein Geist so rücksichtsvoll
wäre, etwas Vernünftiges zu thun! Der grosse
Geist des Dr. Achilles lasse den Dr. Sirassmann schon beim
Hundcblasenwurm im Stich; solchen Mann hätte Virchow gar
nicht durchs Examen gelassen! Juristisch fehle es aber
an Kriterien des Betruges, denn wirklich Geschädigte seien
nicht vorhanden, weder bei den gläubigen Spiritisten, noch
bei den Skeptikern. Gewiss habe sich bei der Angeklagten
mit der Zeit ein gewisser Hang zum Mysticismus herausgebildet
, und die Möglichkeit sei nicht ausgeschlossen, dass
sie etwaige Betrügereien unbewusstermaassen ausgeführt
habe. Sie sei das Opfer anderer Leute, der Schwerpunkt
*) Unseres Wissens haben sieh mediumistisch kundgebende wirklieh
hohe Geister, wie Sokrates and Plato, Galmus und Swedenborg
(letztere beiden ganz besonders in A. J. Davis9 „Zauberstab"),
Franklin, Goethe u. A. nirgends mit niederen Ailotriis und koboldartigem
Unfug abgegeben. Das so viel bespöttelte Bratpfannen- und
Schinkenknoehenwerfen des seligen Peter Drinkwitz im „Resauer Spuk"
geschah doch nur aus einem in der Nähe befindlichen Speise vorraths-
spinde, sonst hätte der Spukgeist bei einem Restaurateur z. B. auch
mit Biergläsern und Schnapsfiaschen geworfen. Der Herr Vertheidiger
würde in der rie&igen spiritistischen Litteratur tausende von Fällen
yerzeichnet finden» wo die Oeister viel Vernünftiges vorgebracht und
gethan haben, was aber leider von voreingenommenen fcpöttern nur
zu absichtlich ignorirt wird. — Der Sekr. d. Red.
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