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Wittig: Der Lindenauer Spuk
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Wir geben schliesslich noch die Darstellung der
„Leipziger Neuesten Nachrichten" No. 55 v. 24. Febr. er.
wieder, weil diese die Gründe der Freisprechung ausführlicher
erörtert: —
„Wir haben über die Verhandlung in unserer Nr. vom
6. November v. J. sehr ausführlich berichtet und können
uns daher heute kurz fassen. Im Sandel sehen Restaurant
zu L.-Lindenau ging im Herbst ein böser Klopfgeist um,
der sich zum Staunen der Gäste den Scherz machte, hin
und wieder durch einen gewaltigen „Bums" das Haus erdröhnen
zu lassen. Vernünftige Leute lachten über den
Scherz,*) mystisch angelegte Gemüther erschauerten jedoch
bei jedem neuen „Bumse" in geheimnissvollem Ahnen; kurz,
die Sache machte Sensation, das Publikum besuchte nicht
nur fleissig das Restaurant, sondern blieb auch auf der
Strasse stehen, so dass die Polizei sich schliesslich im
Interesse der öffentlichen Ordnung ins Mittel legte. Es
währte nicht lange, so war festgestellt, dass das bei Herrn
Sander dienende Mädchen, die am 9. März 1878 in Leutzsch
geborene Annita Martha Harting, wenn auch nicht die
einzige Urheberin der Klopfereien im Sander'schen Restaurant
, so doch eine der dabei Mitwirkenden gewesen
war. . . . Die heutige Beweisaufnahme gestaltete sich sehr
langwierig. Es muss nach dem Ergebnisse derselben angenommen
werden, dass die Angeklagte Harting allerdings
geklopft hat, indess nicht die einzige Klopferin gewesen ist.
Vor Gericht giebt sie nur zu, in zwei Fällen geklopft zu
haben. — Der Gerichtshof erkannte dahin, dass die Angeklagte
, wie schon gesagt, freigesprochen wurde, und zwar
auf Grund der folgenden Erwägungen. Die Angeklagte
hat, wie sie selbst eingestanden, in zwei Fällen, nämlich
an einem Freitag und an einem Sonnabend geklopft, wiewohl
sie wusste, dass dieses Klopfen im Publikum Unruhe
verursachte. Sie sagte selbst, sie habe die Leute „veralbern"
und die Kinder „erschrecken" wollen. Das alles genügt
vollständig zur Feststellung des groben Unfugs, und die
Angeklagte hat hiernach in zwei Fällen groben Unfug
verübt. An sich würde daher auch zu ihrer Bestrafung
zu gelangen sein, wenn nicht § 56 des Strafgesetzbuches
*) Für sie htess der Klopfgeist eben nur „Bums" und „Ulk".
Abor diese Vernünftigen haben keine Ahnung von den Tielen Klopfgeistern
unseres wie vergangener Jahrhunderte trotz aller Rationalisten
Aufklärung. Einen grossen Theil der wichtigsten haben wir in unseren
„Psych. Stud." bei Gelegenheit des „Resauer Spukes" zusammengestellt
im Febr.-Hefte 1889, S. 91ff., sowie im Febr.-Hefte 1890, S. lOlff .
Mai-Heft 1890, S. 246 ff. — Der Sekr. d. Re d.
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