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178 Psychische Studien, XX. Jahrg. 4. Heft. (April 1893.)
hat natürlicherweise das seinige dazu beigetragen, dass das,
was erzählt wird, viele interessirt, die sonst dergleichen
Geschichten mit bemitleidendem und ungläubigem Achselzucken
entgegen nehmen würden.
Lassen Sie mich daher Ihren Lesern erzählen, worüber
vor allem in diesen Tagen in Stockholm gesprochen wird.
Ihre Königlichen Hoheiten wohnten, wie man wissen
wird, während des Besuches hierselbst auf dem Stockholmer
Schloss, wo König Oscar seine Winterresidenz hat. Das
Schloss ist gross, ungefähr wie das Christiansburger Schloss
in Kopenhagen, es liegt wunderbar schön und ist mit grosser
Pracht ausgestattet.
Gleich schon in der ersten Nacht nach Ankunft der
Königlichen Hoheiten wurde einer der dänischen Herren,
welcher denselben während der Reise attachirt war, plötzlich
geweckt durch das Gefühl, als ob Einer ihn bei der
Schulter fasste und ihn im Bette aufrichtete. In demselben
Momente hörte er einen höllischen Spektakel, wie wenn sein
Zimmer von lärmenden Menschen erfüllt wäre, und es schien
ihm, als höre er Waffengeklirr und Rauschen von Seidenkleidern
. Er konnte nichts sehen, es war um ihn her
finstere Nacht, und er wusste, dass er keine Zündhölzer
bei sich hatte. Einen Augenblick lauschte er gespannt zu,
dann versuchte er, sich wiederum niederzulegen, aber von
Neuem war es, als ob Einer ihn bei der Schulter ergriffe,
und er musste sich wieder aufrichten. Abermals lärmte es
um ihn herum, und so fuhr es fort zu thun gegen eine
halbe Stunde. Der Lärm nahm nach und nach ab und
verschwand zuletzt vollständig.
Ganz natürlich wollte der Cavalier am nächsten Morgen
sein sonderbares Abenteuer nicht erwähnen; er wurde aber
dazu genöthigt, da eine der königlichen Personen, Seine
Hoheit Prinz Hans (Bruder des Königs von Dänemark),
dessen Zimmer unmittelbar an das seinige grenzte, herein
kam und fragte, ob er diese Nacht habe schlafen können
wegen des sonderbaren Lärmes, welcher gegen eine halbe
Stunde daselbst stattgefunden habe?
Am Abend desselben Tages sass Ihre Königliche
Hoheit Kronprinzessin Lovisa in ihrem stark erleuchteten
Gemach, im Begriffe einen Brief zu schreiben, als die
Thüre plötzlich sich öffnete. Die Kronprinzessin schrieb
weiter mit dem Gedanken, es sei wohl ein Diener; da aber
Niemand näher kam, wandte sie sich um und erblickte
alsdann eine männliche Gestalt innerhalb der Thüre stehend,
in eine dunkle Kappe eingehüllt und sie starr anschauend.
Die Prinzessin verlor ihre Geistesgegenwart nicht} sondern
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