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Handricli: Ein weiblicher Moses.
191
Monate vergingen, ehe es mir gelang, die mittlerweile
verschiedene Mal umgezogene Frau M. in einer der auf der
Westseite unserer Metropole gelegenen Miethskaserne wieder
ausfindig zu machen. Wohl zwanzig Mal setzte ich die Klingel
in Bewegung, ohne dass sich Jemand meldete. Endlich
öfinete sich die Thüre, und der aus derselben tretende
Hausgenosse war der Ansicht, dass die Gesuchte wahrscheinlich
beim Fleischer, vielleicht aber auch auf dem
Dache mit Teppichklopfen beschäftigt sei Froh, endlich
Gelegenheit zu finden, von der Strasse unter Dach zu
gelangen, zog ich es vor, meine Recherchen bis auf dasselbe
auszudehnen. Es waren sechs lange, dunkle und steile
Treppen, die ich zu erklettern hatte, bevor ich wieder den
blauen Himmel über mir und gleichzeitig die hagere Gestalt
mit dem missmuthigen Gesicht vor mir erblickte. Die auf
den ausgespannten Waschseilen herabhängenden, schäbigen
und theilweise durchgetretenen Bodenteppiche, die das
Reinmachen der Fussböden ersparen, sowie der Ausklopfstecken
in der Hand des Mediums bewiesen, dass man von
den Hausgeistern keine materiellen Hülleleistungen mehr
zu erwarten hat. Die irdische, sowie die ausserirdische
Sphäre (ich wähle hier den Ausdruck „ausser-irdisch", weil
er in Anbetracht des im Weltenäther kreisenden Erdballs
wohl der wahrheitsgetreuere ist, als das sprachgebräuchliche
,,überirdisch4<,) steht unter Gesetzen, die von einem höheren
Prinzip, dem sie Beide unterthänig sind, Zeugniss ablegen.
Nachdem wir uns gegenseitig begrüsst hatten, und ich
den Wunsch ausgesprochen, eine weitere Probe ihrer
medianimen Gabe zu erlangen, lud sie mich bereitwillig
ein, in ihre Wohnung herabzusteigen. Daselbst angelangt,
entschuldigte sie sich wegen der herrschenden Unordnung,
da sie im Hausreinigen begriffen sei, und lud mich ein,
Platz zu nehmen. Nachdem ich der Einladung Folge
geleistet hatte, bat sie mich, sie einige Minuten zu excusiren,
da sie noch etwas Unaufschiebbares zu besorgen habe, und
forderte mich auf, während der Zeit einige Fragen an
Verstorbene zu Papier zu bringen.
Schon längst hatte ich auf einige Streifen von meinem
eigenen, zu dem Zwecke mitgebrachten Papier die Namen
zweier kürzlich verstorbenen Freunde, und auf einen anderen
meine zahlreichen ins Jenseits abberufenen Familienangehörigen
mit dem deutschen Ausdrucke „Meine Lieben
Alle" verzeichnet, und da die so vielseitig beschäftigte
Frau M. noch immer nicht erschien, die herumstehenden
zahlreichen Photographien und die billigen, auf Abschlagzahlung
erworbenen, mit geschmacklos bunten üeberzügen
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