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214 Psychische Studien. XX. Jahrg. 4. Heft. (April 1893.)
Mädchen ihre Stellung angetreten und einige Tage im
Hause verlebt hatte, bemerkte die Hausfrau zu ihrem argen
Verdrusse, dass die Schürze des neugeworbenen Mädchens
sich recht sichtlich erhoben hatte. Darüber höchlichst
erzürnt, nahm die Hausfrau, die ein sehr tugendhaftes
Weibchen war, das Mädchen in ein scharfes Verhör. Das
Mädchen suchte ihre Frau damit zu beruhigen, dass sie
ihr erzähl le, sie habe einen Mondbauch, der bei
zunehmendem Monde jedes Mal dick w^rde und bei
abnehmendem wieder in seinen normalen Zustand zurück
sinke. Die Hausfrau behielt hierauf, wenn auch ihr
Misstrauen nicht vollkommen beseitigt war, doch dieses
Mädchen, und die Zukunft lehrte, dass letzteres die
Wahrheit gesagt hatte.
Als ich ohngefahr vier Jahre nach diesem wunderlichen
Gresehehniss die Stadt verliess, war das Mädchen noch bei
diesen Leuten, und es hatte sich herausgestellt, dass sie
ein wahrheitsliebendes, ordentliches Mädchen gemiethet
hatten, mit dem sie, wie ich hörte, nach allen Seiten hin
zufrieden waren.
Ich höre nun zwar uusere ungläubigen Widersacher
und Spassvögel hierbei lachend ausrufen: — „Was wird
man doch noch alles unserem guten lieben Monde in die
Schuhe schieben!4' — aber hierbei sind sie offenbar dem
Monde und dem Mädchen gegenüber im Unrecht. Schon
Heinrich Heine hat einst klagend aufgerufen: — „Jetzt
glaubei die Menschen sogar nicht mehr an den Mond!" —
Zum Schluss bringe ich einen sogenanuten Wahrtraum.
Als an vergangenem Weihnachtsfeste eine meiner lieben
Töchter, die Frau Bürgermeister Marga Hünefeld in Zerbst
(Anhalt), mir eine Weihnaehtsaufmerksamkeit, wie das von
jeher in meiner Familie Gebrauch gewesen ist, sich zu
diesem Feste gegenseitig mit irgend einer Kleinigkeit zu
erfreuen, erzeigen wollte, war sie auf den Gedanken
gekommen, mir einen neuen Schlafrock zu machen da der,
welchen ich bis jetzt getragen hatte, ihr nicht mehr hübsch
genug zu sein schien. Demzufolge empfing ich zu rechter
Zeit, nebst anderen lieben Dingen, das in Rede stehende
Object, den Schlafrock durch den Postboten; aber es fehlte,
wie man das dabei nöthig hat, die Leibschnur dazu. Wie
war das gekommen? Die Schnur, die ursprünglich zu
diesem Kleidungsstück gehörte, war meiner lieben Tochter
nicht gut genug gewesen, sie hatte deswegen eine neue
bestellt, die ich, wie sie mir mittheilte, innerhalb vierzehn
Tage bekommen sollte.
Die Zeit verging, aber die Schnur empfing ich nicht.
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