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218 Psychische Studien. XX. Jahrg, 4. Heft. (April 1893.)
Zeiten des wilden Fanatismus immer wiedergekehrt. Es
geschieht auch jetzt unter anderen Völkern. Chinesische
Gelehrte publiciren aus unseren Bekenntniszschriften, aus
unserer Litteratur üebersetzungen und Auszüge, um
darzuthun, zu welchen Scheusslichkeiten die christliche
Religion führt.*) Wenn dann der Pöbel am gelben Fluss
über die Niederlassungen der Christen herfällt, Männer und
Weiber todt schlägt, ihre Häuser anzündet, dann zuckt der
Mandarin die Achseln und sagt ihm: — 'davor besonders zu
warnen, hatte ich keinen Anlass, denn, dass ich die Ueber-
treibungen und Ausschreitungen des Antichristianismus
verwerfe, versteht sich von selbst.' — Das ist aber nicht
genügend. Wir haben es hier mit einer schweren, ernsten
Gefahr für den inneren Frieden unseres Landes zu thun,
und dagegen sollen wir Alle Front machen. Ich will nicht
leugnen, dass eine gewisse Art antisemitischer Gesinnung
sehr weit unter uns verbreitet ist; vielleicht in allen
Parteien wird eine gewisse Abneigung (Bewegung rechts)
gegen einzelne, besondeis bei den Juden wiederkehrende
Eigenschaften nicht überwunden durch die Anerkennung
unzweifelhafter Vorzüge und Tugenden, und sie übertragen
das auf alle Juden, meines Erachtens sehr mit Unrecht.
Derartige Antipathien, wie sie zwischen Nationen
und Rassen ja leider überall vorkommen, zwischen Engländern
und Schotten, zwischen Deutschen und Czechen, sollte
man sich bemühen, innerlich zu überwinden
und nicht zum Werkzeuge äusserlicher Agitationen
machen... (Lachen rechts,) Denken Sie darüber,
wie Sie wollen; ich habe hier nicht mit Antipathien und
Sympathien zu rechten. Das müssen Sie doch zugeben,
dass die antisemitische Bewegung und Agitation, die hier
gekennzeichnet ist, den Anlass zu der ganzen Discussion
gegeben hat. Dieser Antisemitismus, von dem wir uns nicht
schroff genug trennen können, ist nicht edel, er ist nicht
deutsch, er ist nicht christlich/ (Beifalls links.)" — Es ist
unsres Erachtens aber auch nicht christlich, wenn man
Erscheinungen des modernen Spiritualismus und Mediumismus,
die, wie in Roh. Dali Orverfs Werk: — Das streitige Land
(Leipzig, Osnald Mutze) — nachgewiesen steht, den Berichten
der Evangelien und Apostelgeschichte gleichen, mit gleicher
Antipathie ableugnet und als blossen Aberglauben und
Betrug verfolgt, anstatt die Phänomene zu studiren und
nach ihrer eigensten Natur zu beurtheilen.
*) Man vergl. hierzu unseren einschlägigen Artikel: — „Hexen-
proeesse" — in „Psych. Stud." Jahrg. 1892 8. 289 ff. — Desgleichen
die vorhergehende Note, — Der Sekr. d. Eed.
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