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230 Psychische Studien. XX. Jahrg, 5. Heft. (Mai 1893.)
ganz gewiss die Ruhestörer zu erwischen, er reisst die Thür
auf und — findet nichts, und auch auf der Treppe ist
Niemand zu sehen.
Am darauffolgenden Abend sieht Frau S. einen grossen
weissen Vogel durch die Stube fliegen und zwischen Spind
und Kommode verschwinden; sie ruft ihrem Manne zu,
schnell nachzusehen, da. er den Vogel gewiss dort finden
müsse, doch der kann nichts von einem Vogel sehen.
Plötzlich ist etwas auf ihrer linken Schulter; als sie den
Kopf dorthin dreht, sieht sie in ein scheussiich verzerrtes
menschliches Gesicht; mit Grauen will sie nochmals hinsehen
, da ist das Gesicht verschwunden.
Herr S. wandte sich nun um Rath an Herrn Dr. Cyriax,
und dieser bat mich brieflich, die Sache zu untersuchen,
da er selber durch körperliche Indisposition nicht im Stande
sei, mit der nöthigen Energie Hülfe zu schaffen. Ich ging
am 23. Februar er. Nachmittags zur Familie S. und traf
Frau S. allein anwesend, die mir das Vorstehende unter
vielen Thränen erzählte. Soviel wie möglich suchte ich
Frau 6. zu trösten und ihr die wahrscheinlichen Ursachen
der Störungen in ihrem Verständniss angemessener Weise
zu erklären, so dass sie wieder frischen Muth bekam.
In meiner Gegenwart ereignete sich trotz mehrfacher
lauter Aufforderung dazu nichts weiter, als dass es einige
Male in einem Kleiderschrank rumorte. Ich habe nun mit
der Frau regelrechte Tischsitzungen veranstaltet und
Schreibe ersuche angestellt, welche Letzteren auch mit
Erfolg gekrönt wurden; desgleichen sind die Spukvorgänge
in meiner Abwesenheit lange nicht mehr so heftiger Natur,
Die unsichtbare Kraft scheint sich augenblicklich mit der
Ausbildung der medialen Kräfte der Frau S. zu beschäftigen,
was durch Magnetisiren unterstützt wird.
Das ist der Stand der Sache bis jetzt. In einem
folgenden Aufsatze werde ich Weiteres über diesen Eall
berichten.
Berlin, den 28. Februar 1893.
Max Mahn.
Nachschrift
Seit meinem ersten Besuche bei der Familie S. am
23. Februar er. habe ich mit derselben regelmässige Tischsitzungen
an drei Nachmittagen in der Woche abgehalten,
nachdem ich als Zeugen für etwa eintretende Phänomene
den Rendanten unserer Vereinigung, Herrn Julius Stossmeister,
einen in spiritualistischen (mystischen) Dingen sehr erfahrenen,
klar denkenden und Phantastereien und Ueberschwänglich-
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