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244 Psychische Studien. XX. Jahrg. 5, Heft. (Mai 1893.)
nicht wirkliche Warnungsträume, d. h. Inspirationen aus
fremder Quelle. Als solche könnten sie sich erst durch
ein weiteres Merkmal legitimiren. Wir brauchen zur
Inspiration nicht zu greifen, so lange die dramatische
Spaltung des Ich die gleiche Erklärung leistet; und wenn
selbst Inspiration vorliegt, wäre zunächst an die durch das
transscendentale Subject zu denken. Wie in der Mystik
überhaupt, so dürfen wir eben auch hier zu Geistern erst
in letzter Instanz greifen. Dann aber, wenn wir mit einer
geringeren Erklärung nicht auskommen, werden wir es auch
ganz unbedenklich thun; denn die Gedankenübertragung
übersteigt nicht einmal die menschlichen Kräfte, also kann
an der Möglichkeit der Inspiration durch Verstorbene
durchaus nicht gezweifelt werden.
Wenn wir die Wahrträume der Materie nach ordnen,
so finden wir, dass sie entweder Ereignisse betreffen, die in
der Linie unseres eigenen Lebenslaufes liegen, oder im
Lebenslauf der von uns geliebten Personen, oder solche
Ereignisse, die wegen ihrer Wichtigkeit von allgemeinem
Interesse sind, z. B. politische. Der erstere JFall ist der
häufigste. Im Grunde genommen gehört hierher schon die
Fähigkeit der Somnambulen, ihre eigene Krankheitsprognose
zu stellen. So erzählt z. B. Bauizmann, dass einem achtzehnjährigen
Mädchen eine bevorstehende Krankheit angezeigt
wurde, Sie sah zwei Männer, welche ihr Alles erklärten,
die Dauer der Krankheit und der einzelnen Zufälle, und
die ihr befahlen, im Kalender die Tage und Wochen zu
bezeichnen, an welchen dieses oder jenes mit ihr vorgenommen
würde; auch erhielt sie den ßathschlag, sich zör Ader zu
lassen, Ihr Arzt und die Eltern wollten davon nichts
wissen; da jedoch die Krankheit immer schlimmer wurde,
Hess sie sich heimlich eine Ader öffnen, worauf die
Heftigkeit ihrer Krankheit sogleich nachliess.1) — Die
Gräfin M. sagte ihrem Magnetiseur, Professor Ennemoser,
dass sie in Karlsbad, wohin sie mit ihm reiste, durch einen
Krampfanfall in Gefahr zu ertrinken kommen würde; nur
er allein könne sie retten, weil sie in Krampfanfällen nur
vom Magnetiseur berührt werden dürfe. Ennemoser hatte
diese Vorhersage längst vergessen, als er in Karlsbad vom
Diener der Gräfin geholt wurde; er fand sie im Bade, von
einem Leintuch umhüllt, aber um den Hals verschlungen,
in fürchterlichen Krämpfen.2) — Frau Marnitz, über deren
Krankheit eine interessante Monographie vorliegt, hatte in
*) Hennings: — „Von den Ahndungen und Visionen." L 318.
*) Ennemoser: — „Mpfmerische Praxis." 481.
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