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258 Psychische Stadien. XX. Jahrg. 5. Heft. (Mai 1898.)
gehen lernen. Mehrere Wochen, von denen ich gar nichts
weiss, sind ganz aus meinem Leben verschwunden. Im
Ganzen zog sich die Krankheit mit ihren Folgen bis gegen
Johanni hin. Was war nun während meines Schmerzens-
lagers passirt? Meine Frau, die mich gut und sorgsam
gepflegt hatte, war während der Zeit, wo ich bewusstlos
gelegen hatte, unzeitig von einem Knaben entbunden worden,
den der Accoucheui, Dr. med. Sickel, ein Mitarbeiter unserer
Redaktion, mit nach Hause genommen hat, und der wohl
jetzt noch irgendwo in Spiritus zu sehen ist.
Während meiner Krankheit hatte sich viel und zu
meinem Schaden geändert. Der Redakteur unserer
medicinischen Jahrbücher, Dr. med. Göschen, war wegen
seiner Politik aus Leipzig ausgewiesen worden, und es hatte
sich eine neue, unter dem Namen: — „Vereinigte medicinische
Redaktion44 (aus praktischen Aerzten bestehend) — zusammengesetzt
. Als Sekretär hatte man einen jungen Studenten
der Medicin angestellt und mir blos das Rechnungswesen
gelassen.
Ich musste nun wieder zur Notenstecherei greifen, fand
auch wieder recht bald Arbeit, aber es ging im Ganzen
doch recht miserabel. — Da wir nach Amerika nur eiu
Ziel, Brasilien hatten, so ging der Aerztliche Verein
nach und nach aus dem Leime, und ich verlor meinen
Gehalt, den ich als Sekretär bezog. Es war nämlich das
Gerede aufgetaucht: — wir wollten die Menschen in die
Sklaverei verkaufen, was aber durchaus nicht der Fall
war. Wahrscheinlich war dies das Werk eines nordamerikanischen
Aerzte-Agenten. Um meiner Frau, die
wieder gesegneten Leibes war, eine Wohlthat zu erzeigen,
erwiethete ich ein kleineres Logis mit schönem geräumigen
Garten, damit sie sich bei geeignetem Wetter darinnen
aufhalten und so ihrer Niederkunft ruhig entgegen sehen
könnte. Dieselbe verlief gut, und mein Frauchen beschenkte
mich mit einem gesunden, kräftigen Jungen, der in der
Taufe die Namen: — Alexander Carl — statt Carl Aexander,
wie der Vorhergehende, empfing, aber nur bis ins dritte
Lebensalter gezogen wurde und, wie ich bestimmt glaube,
durch Missgriffe in der Medicin vorzeitig unter die Erde
gebracht worden ist. Man sagt: — „Ein Malheur kommt
selten allein, und so gings bei mir auch. Nach nicht sehr
langer Zeit starb die sämmtliche Hofmeister'sehe Familie,
der das bedeutende Musikaliengeschäft gehörte, vollständig
aus, und dasselbe kam in die Hände des Sohnes, des ohn-
längst an der Cholera verstorbenen Buchhändlers Röthing.
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