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266 Psychische Studien. XX. Jahrg. 5. Heft (Mai 1893.)
thessalicum maleficium non est, sed flagellum' [d. L 'Das
thessalische Gift ist kein böses Zaubermittel, sondern eine
verhängnissvolle Geissel1]. Niemand versteht diese dunkeln,
räthselhaften Worte auszulegen. Jeder übersetzt sie anders.
Viele halten sie für einen Schreibfehler. Mir ist der Sinn
verständlieh." —
f) Im „Magazin für Litteratur" Nr. 1 v. 7. Januar 1893,
02. Jahrg., S. 11 — 14 giebt Garns Sterne seine Ansichten
über „Traumerfahrung und Volksdichtung" zum Besten.
Dichten sei ein waches Träumen. Lukrez habe zwar
(V, 1155—1168) die Götter und andere übersinnliche Dinge
den Menschen zuerst im Traume sich nähern lassen, aber
erst durch Darwin sei die neuere Erkenntniss des Traumlebens
und seine nicht blos historische, sondern auch
psychologische Entwickelung richtig erweckt worden. Von
Märchen und Volksliedern sei die niedere Mythologie der
ältesten Zeit ausgegangen, und aus ihr seien erst die
ausgearbeiteten und idealisirten Göttergestalten der
mythologischen Systeme der Aegypter, Griechen und Römer
entstanden. Es handelte sich dabei wesentlich um eine
Manen- und Dämonenlehre, welche den ursächlichen
Zusammenhang der Lebenserscheinungen zu erklären
versucht und zur Volksdichtung geführt hätte. Er verweist
dabei auf seine „Naturgeschichte der Gespenster" (1863),
in der er das Traumleben als den Hauptquell der Volksanschauungen
über Manen, Götter und Dämonen bezeichnet
habe. In seinem folgenden Werke „Werden und Vergehen"
(1876) habe er sich bereits über die nicht gebührende
Beachtung und Ausschöpfung dieses Phantasie-Quells in
der Völkerpsychologie beklagt. „Der im festverwahrten
Steingrabe beigesetzte Vater", heisst es dort (S. 407), „tritt
nachts munter wie je an das Lager des Sohnes, spricht
wie sonst zu ihm und zerfliesst beim Erwachen langsam in
Luft. Es bestätigt sich also, dass dieses vom Körper
getrennte, seine Gestalt erborgende Etwas (die dem Körper
Leben verleihende Seele) unsterblich war und für sich weiter
lebt, der Manendienst tritt unmittelbar ins Leben,
während der Götterdienst erst fern am Horizonte
auftaucht. Ich glaube nicht, dass man den zwingenden
Einfluss des Traumlebens auf den grübelnden Verstand des
Urmenschen und seinen Cultus bisher genügend in Rechnung
gezogen hat.u — Wir konstatiren hiernach, dass für Herrn
Carus Sterne selbst eine Geisterscheinung im Traume stets
nur ein für die Wirklichkeit zerfliessendes Etwas ist, das
eigentlich ein Nichts ist. Und doch hat dieses Nichts eine
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