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294 Psychische Studien. XX. Jahrg. 6. Heft. (Juni 1893.)
glauben sogar die Dichtigkeit des Weltäthers annähernd
bestimmen zu können. Wenn wir mittelst der Luftpumpe
die Masse der atmosphärischen Luft (bis auf einen geringen
Eückstand) aus einer Glasglocke entfernen, so bleibt die
Lichtmenge innerhalb derselben unverändert. Wir sehen
den schwingenden Aether." —Wenn freilich Haeckel
nachher meint, durch diese Errungenschaften der exacten
Naturwissenschaft werde unsere Vorstellung von Raum und
Zeit ganz anders, als Kant „noch vor hundert Jahren sie
lehrte", so scheint mir diese Aeusserung auf Missverständniss
des „kritischen Systems des grossen Königsberger Philosophen
" zu beruhen. Auch klingt es beinahe dualistisch,
so dass man den Eindruck bekommt, dass der so erbitterte
Kampf zwischen monistischer und dualistischer Weltanschauung
schliesslich auch auf einen Wortstreit hinauslaufen
würde, wenn der „Prophet von Jena" fortfährt: —
„Ja selbst eine vernünftige Form der Eeligion kann die
Aethertheorie als 'Glaubenssatz' verwerthen, indem sie
den beweglichen Weltäther als 'schaffende Gottheit' der
trägen und schweren Masse (als 'SchöpfungsmateriaF)
gegenüberstellt", und wenn er S. 18 die Frage
aufwirft: — „Stehen beide Ursubstanzen (der Ur-
stoff der nur verschieden gelagerten Massenatome, welchen
Crookes in seiner 'Genesis der Elemente' als Protyl
bezeichnet, und der homogene, im Weltraum verbreitete
WeltätLer) in einem wesentlichen und ewigen Gegensatze?
Oder hat der bewegliche Aether vielleicht
selbst auch die schwere Masse erzeugt?" —
Mit Recht erklärt Haeckel im Gegensatz zu dem
Berliner Physiologen du Bois-Reymond (in seiner bekannten
Rede über die Grenzen des Naturerkennens, 1872) das
„neurologische Problem des Bewusstseins" nur für einen
besonderen Fall von dem allumfassenden kosmologischen
Problem, der Substanzfrage. „Wenn wir das Wesen von
Materie und Kraft begriffen hätten, so würden wir auch
verstehen, wie die ihnen zu Grunde liegende Substanz
unter bestimmten Bedingungen empfinden, begehren und
denken könne" (S. 23), so dass beide grosse Fragen nicht
als zwei verschiedene Welträthsel zu betrachten seien. Da
wir nun aber eben dieses Verhältniss von „Stoff" und
„Kraft" nicht begreifen, und da auch die bekannte
IJaeckel'sche „Cellularpsychologie" die Räthsel des menschlichen
Seelenlebens keineswegs gelöst, ja kaum berührt hat,
so dürfte doch wohl die besonders von G. du Prel in seiner
„Monistischen Seelenlehre" und neuestens in der reizenden
kleinen Schrift „Das Räthsel des Menschen" (Leipzig, Reclam\
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