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300 Psychische Studien. XX. Jahrg. 6. Heft. (Juni 1893.)
Wald schicken, die, an einer grossen Eiche wartend, den
Mörder vorbeikommen sehen würden. Es sei ein Mensch
von 26 Jahren aus einem fremden Ort. Sie beschrieb
diesen Ort und die Lage seines Wohnhauses. Der Bruder
wurde gewarnt und ging erst in der Abenddämmerung in
den Wald, wo ein ihm feindlicher Holzdieb auf ihn schoss,
ohne ihn zu treffen. Die Wohnung desselben lag an dem
von der Seherin bezeichneten Ort. — Später hatte sie noch
einen Traum dieser Art. Sie sah zu wiederholten Malen
einen Puchs und verkündigte, der Bruder würde auf der
Jagd, beim Schiessen auf einen Puchs, durch falsche
Ladung des Gewehres verunglücken. Der gewarnte Bruder
visitirte sein Gewehr und fand es, vermuthlich von boshafter
Hand, überladen. Dass sie solche Warnungen bezüglich
ihres Bruders habe, erklärte sie daraus, dass derselbe
früher sie häufig magnetisirte und dadurch mit ihr in
Rapport stehe. — Ein anderes Mal hatte sie im Wachen
das Gesicht, dass ihr Kind eine Nadel in den Mund stecke.
Später, im Somnambulismus, wurde die Vision deutlicher,
so dass ihre Eltern, bei welchen das Kind war, drei Tage
vor dem gefürchteten gewarnt wurden und am Aermel des
Kindes eine Stecknadel fanden, die entfernt wurde.1)
In allen diesen Pällen vereitelte also die Befolgung der
Warnung den eigentlichen Beweis der Warnung, und nur
in dem Palle jener Dame, die aus dem Schrank der
Brauerei ihre Werthpapiere zurückzog, kann mit einiger
Bestimmtheit behauptet werden, dass der Traum ein Unglück
verhütete, da ja die zurückgezogenen Papiere das Schicksal
der zurückgebliebenen sicherlich getheilt hätten.
Wenden wir uns nun jenen Träumen zu, wo die
Warnung nicht beachtet wird.
Dr. Maiher erzählt in seiner „Kirchengeschichte von
Neu-England" den Traum eines Arztes: — Er träumte
drei Nächte hinter einander, dass er ertrinke. In der
dritten Nacht war der Traum so beängstigend, dass er in
Schweiss gebadet erwachte. Als er am anderen Morgen
von dem Traume sprach, kamen eben zwei Freunde, ihn
zu einer-Wasserfahrt abzuholen. Anfänglich erschrak er
über diese Bitte, aber da das Wetter so milde war, liess
er sich bereden. Abends erhob sich ein Sturm, und alle
drei ertranken,2) — Camerarius erzählt in seinem Leben
Melanchthon% dass Wilhelm Nassenus einst träumte, er fahre,
wie häufig, in einem Kahne über den Pluss; der Kahn
*) Kernen — „Die Seherin von Prevorst." 90—93.
*) Nork: — „Fatalismus." 121.
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