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392 Psychische Stadien. XX. Jahrg. 8. Heft. (August 1893.)
Heute ist Goethe ein 'passivistisch Liebender', morgen ist er
vielleicht schon ein 'Masochist1 . . . der Schritt ist ja nur
klein, gerade so klein, wie der — von der psychosexualen
Forschung zur Lächerlichkeit." — Sapienti sat est! —
Herr Servaes fährt weiterhin also fort: — „Noch in einem
dritten Punkt sind die Censoren einig; doch den hat
Franzos vergessen zu notiren: — in der Verurtheilung des
ihnen vorgelegten Materials, das sie einhellig für unbrauchbar
erklären, weil es auf unzulänglichen, lückenhaften und
anfechtbaren Beobachtungen beruhe. In einem der Fälle
kann man jetzt auf Grund jüngerer Publikationen {Otto
Brahm, Karl Siau/fer-Bem") eine ganz andere Gruppirung
der Thatsachen vornehmen, wodurch diese Specialfrage in
ein völlig neues Stadium rückt/'*) — „Von den Gutachten"
— sagt Herr Servaes weiter — „haben mir diejenigen einen
sehr schwachen Eindruck hinterlassen, die sich mit
Bestimmtheit gegen alles, was Suggestion und Hypnose
[Er hätte getrost auch „Mediumismus" und „Spiritismus"
hinzusetzen können! — Ref.J heisst, aussprechen. Sie
tragen ausnahmslos eine hochmüthige Verachtung zur
Schau und lassen eine gründliche Verarbeitung des
Materials durchaus vermissen. Geradezu schmerzlich aber
hat mich das Votum von Helmholtz berührt. Es steht nicht
auf der Höhe des grossen Gelehrten und Denkers; denn es
zeigt ein so wenig scharfes Anfassen des Stoffes, dass es
nicht einmal Hypnotismus und Spiritismus auseinander
hält. Wenn Männer wie Helmholtz sich derart spröde
gegen beginnende Umwälzungen der wissenschaftlichen
Anschauungsweise verhalten und es dann doch nicht verschmähen
, einen Schiedsspruch abzugeben, dann wird
freilich Deutschland in der europäischen Geistesentwickelun^
bald als Allerletztes hinterdrein hinken." — Das haben die
Spiritisten, und unter ihnen am markantesten Professor
Zöllner, der gegen seine Herren Collegen auf diesen Gebieten
Front zu machen gezwungen war, schon vor zwei Jahrzehnten
prophezeit und an ihrem eigenen Leibe erfahren müssen.
Dass es auch noch andere Gelehrte gegeben hat, die der
Sache der Suggestion näher getreten sind, verbürgt uns
Herr Servaes mit den Namen Forel und Krafft-Ebing. Dass
aber die Darlegungen des jüngst in Wien verstorbenen
Prof, Meynert über die physiologischen Bedingungen für
das Zustandekommen dieser Phänomene dem Herrn Servaes
am lehrreichsten „vom Standpunkte des Laien" erschienen
*) S. „Psych. Stud." April-Heft 1891 S. 190, Zeile 1 v. o. ff. -
Der Sekr. d. Red,
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