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du Prel: Giebt es Warnungsträume?
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Die politische Proplietie blüht hauptsächlich in Zeiten,
in welchen die Volksphantasie stark aufgewühlt ist, so dass
sogar der nüchterne MacchinreJU sich zu dem Ausspruch
genöthigt sieht: — „Teh weiss den Grund hiervon nicht,
aber die ganze Geschichte beweist, dass nie ein grosses
Unglück über eine Stadt oder Provinz kam, welches nicht
voraussgesagt, oder durch Offenbarungen, Wundererscheinungen
u. s. w. verkündet worden wäre. Männer,
bekannt mit natürlichen und übernatürlichen Dingen, wie
ich es nicht bin, sollten die Sache untersuchen. Sei es, wie
es will, gewiss ist sie."1) — Die Erklärung wird nun wohl die
sein, dass in unruhigen Zeiten die Furcht vor dem, was
kommen mag, gleich einer Autosuggestion wirkt und unsere
latenten Fähigkeiten auslöst, oder dass ein sonstwie
erhaltenes Ferngesicht darum in die sonst regelmässige
Erinnerungslosigkeit nach dem Erwachen nicht einbezogen
wird, weil das geschaute Ereigniss einen zu starken
psychischen Eindruck hervorrief.
Ich begnüge mich, für Prophezeiungen dieser Art in der
Anmerkung einige Quellen anzuführen;2) für die Entscheidung
der Frage, die uns hier hauptsächlich interessirt, ob sie
nämlich als Warnungen gelten sollen, sind sie von keinem
Belange. In manchen Fällen wird nun ein isolirtes
Ereigniss oder Bild geschaut, z. B. wenn Cagliostro in einem
Briefe von 1786 schreibt, dass der Bastillenplatz in Paris
ein öffentlicher Platz werden würde.8) — Oft fehlt auch
ganz die autosuggestive Erregung des Ferngesichts durch
die Unruhe des Gemüthes. So erzählt z. B. Montluc in
seinen Memoiren, dass er in der Nacht vor dem Turniere,
in welchem Heinrich II. getödtet wurde, den Tod des
Königs vorher sah, weinend erwachte und am Morgen
seiner Frau und mehreren Freunden die Vision erzählte.4)
— Ein Somnambuler sagte im Schlaf ohne jeden Anlass,
dass im Orient wichtige Ereignisse bevorstehen, da der
Sultan gestorben sei; acht Tage später kam die Bestätigung
aus Constantinopel.5) — Bei Du Potet sagt eine Somnambule
die Revolution, in Folge deren Karl X. vertrieben wurde,
genau mit Angabe des Tages vorher.0) — Eine Kataleptische
des Professors Petetin sah die Uebeigabe der Stadt Lyon,
*) Macchiavelli über Livius I. 56.
2) Du Potet: - „Journal du magn&isme." V. 239. 250; VI. 272;
VI1L 192. — „Sphinx." II. 52. — „Psychische Studien/' 1886. S. 72.
3) Du Potet: - „Journal." XI. 461.
4) bt ierre de Boismoni: — „Ues hallucinations." 536.
B) Pigeairei — „filectrieite animale." 291.
Ä) Du Potetx —- „Th6rapeutique magnStique. 511.
Psychische Stadien. Augast 1893. 26
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