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430 Psychische Studien. XX. Jahrg. 9. Heft. (September 1893.)
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Wenn diese Schrift verschiesst und bleich und gelbe scheint
So wisst, dass Günther hier die Mutter noch beweint.
425. Denn dieses Thränensalz ist mir noch übrig blieben,
Das andre hat der Neid durch seinen Sturm vertrieben,
Das streu ich auf Dein Grab und Deinen Gliederrest:
So feir ich Tag für Tag Dein traurig Todtenfest. —
Am Striegauer „Czislau-Bache ruht sie auf dem seit der
Reformationszeit gegründeten älteren Theile des Nikolai-
Friedhofes, links vor der grossen granitsteinernen Brücke,
wo ich auch meine liebe Mutter am 3. December 1886 ganz
in ihrer Nähe und derjenigen zweier ihrer Söhne, meiner
jüngeren Brüder, Albert und Robert Wittig, zur ewigen Ruhe
gebettet habe. Mein theurer Vater aber wurde, weil dieser
Kirchhof vier Jahre später plötzlich geschlossen ward, auf
den Neuen Friedhof jenseits der Brücke beerdigt. — Um
die Striegauer Berge grub meine selige Mutter in der
Johaimisnacht ihre Goldwurzeln zu einer heilsamen
Hämorrhoiden-Salbe und pilgerte mein 81 jähriger Vater
zum letzten Male im Jahre 1888 mit mir und seinem einzigen
5 jährigen Enkelsohne bis zum Weylach-Quell und auf die
zwischen Spitz- und Georgenberg reizend eingebettete
Restauration, sowie von dort aus um den St. Georgenberg
rechts herum auf den „Breiten Berg", um mit mir von dort
aus seine Geburtsstadt Bolkenhain mit der Bolko- und
Schweinhaus-Burg und die Schneekoppe noch einmal wiederzusehen
. Von diesen von ihm viele tausendmal umwanderten
Bergen holte ich für ihn am 10. Juni 1890 am Vorabende
seines Begräbnisstages den letzten bunten Blumenstrauss
mit eben erblühten wilden Röslein in seinen Sarg, in dem
„Meister Wittig" wie ein ehrwürdiger greiser Priester, sanft
lächelnd, das Haupt mit schwarzem Sammetkäppchen
bedeckt, mit seinem irdischen Theile zum ewigen Schlummer
gebettet lag.
Aus der tiefen Templerhöhle den steilen und steinigen
Bergpfad mit meinem Blumenstrausse emporklimmend, wie
einst mit meinem nun seligen Vater, um auf das Planum
zwischen dem Breiten und Georgen-Berge zu gelangen,
entdeckte ich bei einer zufälligen Rückschau plötzlich in
einem hochaufragenden Basaltfelsen direct über der
Templerhöhle die Riesengestalt eines Mönches in
wunderbar plastischer Figur! Vielleicht hat bisher noch
Niemand dort dieses uralte Steingebilde erblickt. Und
sollte etwa die Kunst der Templer zu ihrer Zeit hier mit
nachgeholfen haben, so wäre dies wohl der beste Beweis
datür, dass diese Höhle kein blosser Sigillatstollen, wie Herr
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