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446 Psychische Studien. XX. Jahrg. 9. Heft. (September 1893.)
Es giebt umgekehrt Fälle, wo der Woblthäter sich
angetrieben fühlt, einem Bedürftigen beizustehen. So wurde
dem Professor Lysius in Königsberg in seiner drückenden
Armuth wiederholt ins Haus getragen, wessen er gerade
am meisten bedürftig war. Die Geschichte dieses Mannes
ist überhaupt sehr merkwürdig.1) — Es ist nicht gesagt,
dass die Geber sich des Traumes bewusst waren, unter
dessen Einfluss sie standen, aber das isS auch beim
„Sokratischen Dämon" nicht der Fall und nicht bei den
Ahnungen, wo doch, wie wir in einem anderen Kapitel
gesehen haben, der Nachweis eines zurückliegenden Traumes
nicht schwer ist. — Schubert verweist auf sehr zahlreiche
Fälle ähnlicher Art und führt sie auf eine unbewusste
Willensbeeinflussung des Wohlthäters durch den Noth-
leidenden zurück, worin ich ihm nicht beistimmen kann.2)
Dagegen halte ich eine solche Beeinflussung durch einen
Lebende/1 für möglich, wenn dieser in einem magischen
oder halbmagischen Zustande sich befindet, was im tiefen
Schlaf häufig eintritt. Eine solche Fernwirkung trat ein
im folgenden Falle, und zwar merkwürdiger Weise innerhalb
eines inspirirten Traumes: — Der Oberst Le Crosnier war
1792 in einer Mühle einquartirt. Nachts erschien ihm der
Geist des vier Jahre früher ermordeten Besitzers der Mühle
und sagte, es fehlten seiner Schwester die zum Erweis ihres
Rechtes auf die Mühle nöthigen Orkunden; diese lägen
beim Notar in Verberic. Am anderen Tage kam diese
Schwester nach der Mühle und wurde beim Anblick des
Obersten ohnmächtig. Derselbe war ihr in der vergangenen
Nacht erschienen und hatte sie aufgefordert, nach der
Mühle zu kommen, damit er ihr den Ort der Urkunden
mittheile, die dann auch beim Notar gefunden wurden.8) —
Hier haben wir also Inspiration durch einen Verstorbenen,
verbunden mit Fernwirkung, und zwar Traumsendung
zwischen Lebenden, und beides in Uebereinstimmung!
Ist nun ein Träumer gegeben, welcher von Dingen
träumt, womit er sich vor dem Einschlafen nicht
beschäftigte, und erhält er dabei noch den Antrieb zu einer
Handlung, so ist ebenfalls auf Inspiration, die häufig
Warnung ist, zu schliessen: — Ein Offizier sah im Traume
sein verstorbenes Kind, das ihm zurief: — „Papa, stehe auf,
der Mann will Dich erschlagen!" — Er begnügte sich nachzusehen
, ob die Thüre verschlossen sei; da fiel ein mehrere
*) Horst: — „Deutoroskopie." I 169—215.
•) Schubert: -— ,.Symbolik des Traumes." 224. Anmerkung 6.
?>) Perlyi — „Die mystischen EiscüeinuDgen." iL 186.
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